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der verschiedenartigsten Tageszeitungen und Zeitschriften,
der Hauptausschuß, dem anfänglich nur 35 Organisationen
angehörten, lawinenartig anwuchs, so daß ihm gegenwärtig
über 3600 Organisationen und Behörden angehören, die da-
mit ihr Verständnis für die Bedeutung dieses Unternehmens
und ihr Einverständnis, ja den Wunsch seiner Verwirklichung
bekunden.
Weil es sich um die Selbsterhaltung unseres
Volkes handelt, diese aber Aufgabe der Gesamtheit ist,
darum, sagte man sich, ist auch die Herbeiführung eines
gesunden Siedlungswesens als Grundlage all und jeder
ferneren Wohlfahrt und Leistungsfähigkeit Sache, Aufgabe
der Gesamtheit. Darum aber ist
ein Reichogesetz
für neuzeitliches Siedlungowesen als Ausdruck des Gesamt-
willens erforderlich und zu erstreben.
In einer kurzen Eingabe wurde der am 20./21. November
lols beschlossene Gesetzentwurf alsbald an den Reichstag
geleitet und von diesem als Reichstagsdrucksache Nr. 1 der
zehnten Kommission am 4. Dezember 1917 ausgegeben.
Am 31. März 1915 legte der Reichskanzler von Beth-
mann-Hollweg im Reichstage den Entwurf eines
Kapitalabfindungsgesetzes
vor.
In der Beratung über diesen Entwurf kam zum ersten
Male die Frage der Ansiedlung von Kriegsteilnehmern,
warm befürwortet von Generalleutnant Staats= und Kriegs-
minister Wild v. Hohenborn und, abgesehen von der So-
zialdemokratie, allseitig in ihrer Bedeutung anerkannt, zur
Verhandlung.
Am 10. Mai stellten im Hauptausschuß — Budgetkom-
mission des Reichstags — die Reichstagsabgeordneten Franz
Behrens (Chr.-Soz.) und Giesberts (Ztr.) den An-
trag, den Herrn Neichskanzler zu ersuchen, die Bestrebungen
auf Schaffung von Heimstätten für Kriegsteilnehmer und
deren versorgungsberechtigte Hinterbliebene tatkräftigst zu
fördern und baldmöglichst einer gesetzlichen Regelung zu
unterziehen. Dleser Antrag wurde am 11. Mai 1916 gegen
die Stimmen der Vertreter der Freisinnigen Volkspartei und
der Sozlaldemokratie angenommen.
Am 24. Mai nahm der Deutsche Reichstag einstimmig
folgende Entschließungen an:
1.
„Die verbündeten Regierungen werden ersucht, dem
Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt einen Ge-
sehentwurf vorzulegen, welcher bezweckt: Schaffung
einer gesetzlichen Unterlage zur Errichtung von
Kriegersiedlungen in Stadt und Land (Kriegerheim-
stätten), wobei die bisher veröffentlichten, freien Ver-
einigungen entstammenden Vorschläge mitbenutzt werden
bönnen.“
2.
„Der Herr Reichskanzler wird ersucht, die Bestrebungen
nach Schaffung von Heimstätten für Kriegeteil-
nehmer oder deren versorgungsberechtigte Hinterblie-
bene tatkräftig zu fördern und baldmöglichst einer ge-
setzlichen Regelung zu unterziehen mit dem ziele,
Rechtsgrundlagen zu schaffen, welche solche Heim-
stätten ihrem Zweck dauernd erhalten.“
Der erste Antrag war von dem Wohnungsausschuß, der
zweite vom Hauptausschuß des Reichstage in Gemäßbeit der
Vorberatung gestellt worden. —
Dies vorerst das Schicksal des Gesetzentwurfs.
Ende November und Anfang Dezember 1916 weilte Herr
Damaschke auf einer Vortragsreise in dem besetzten Gebiete
des Westens. Überall fand der Gedanke der Kriegerheim-
stätten begeisterte Aufnahme, bei keinem aber mehr als bei
dem Freiherrn von Bissing, dem leider am 18. April
1017 allgufrüh verstorbenen feinsinnigen und verständnis-
vollen Generalgouverneur in Brüssel, der sich im engeren
Kreise mit seltener Hingabe zur Sache der Kriegerheimstätten
bekannte. Er sagt (Ztschr. Bdrf. 10917 S. 250):
„Ich kenne gar keine soziale und nationale Aufgabe,
die wichtiger, größer und drängender wäre als diese.
Selbst das Hilfsdienstgesetz reicht in meinen Augen nicht
an das soziale Versöhnungswerk hinan, das die Krieger-
heimstättensache, groß angelegt und entschlossen durch-
geführt, bedeuten würde. Der deutsche verantwortliche
Staatsmann, der hier nicht zufaßt, zufaßt mit beiden
Händen, würde in meinen Augen die Aufgabe der Stunde
versäumen! Hier könnte mit einem Schlag die Begeiste-
rung unserer kämpfenden Helden an der Front erhöht
werden, hier könnte ein Werk begonnen werden, das all
die Geschwüre am Leibe unseres Volkskörpers: Alkoholis=
mus, Geschlechtskrankheiten, Säuglingssterblichkeit, Un-
sittlichkeit usp. zum guten Teil überwinden hilft, ein
Werk, das damit unsere ganze nationale Zukunft fester,
hoffnungoreicher zu gestalten vermag!“
Um seiner Bedeutung willen, und weil es von einer An-
zahl großer Tageszeitungen nicht abgedruckt worden — in
vielsagendem Schweigen —, möge Hindenburgs mannhaftes
Anerkennungsschreiben hier eine Stätte der Beachtung fin-
den. Es lautet (s. „Bodenreform“ 1018 Heft 1 S. 19:
Gr. H.-Qu., den 18. 12. 17.
Cbef des Generalstabes
des Feldheeres.
Sehr geehrter Herr Damaschkel!
Die Arbeit des „Hauptausschusses für Kriegerheim-
stätten“ findet mein volles Verständnis.
Unsere Krieger, die ihr Vaterland unter schwersten
Opfern so ruhmvoll vor dem Verderben geschützt haben,
dürfen bei ihrer siegreichen Heimkehr nicht mit Woh-
nungselend empfangen oder gar mit Frau und Kindern
der Obdachlosigkeit preisgegeben werden.
Das Vaterland soll jedem, der von ehrlicher Arbeit
leben will, dazu helfen, ein vor Wucherhänden ge-
schütztes Heim zu gewinnen, in dem deutsches Familien=
leben und der Aufwuchs an Leib und Seele gesunder
Kinder möglich ist. Das will Ihre Bewegung, und des-
halb werden die besten Wünsche aller derer mit Ihrer
Arbeit sein, welche die Größe unserer Zeit erkannt haben
und es ehrlich mit unseren Kriegern und unserei Volke
meinen.
Es handelt sich hier um ein Werk von größter sozialer
Tragweite. Je eher dieses in Angriff genommen wird,
desto mehr wird es eine Quelle neuer Freudigkeit und
dankbarer Hingebung unserer tapferen Truppen werden!
v. Hindenburg.
Reichsregierung, Bundesrat und Reichstag hatten über
der Menge anderer, gewiß auch drängender Fragen die Sache
der Kriegerheimstätten allerdings um keinen Schritt geför-
dert. Die Geldfrage hatte über Erwägungen nicht hinaus-
kommen lassen, das leidige Stichwort Assignatenwirtschaft
übte eine lähmende Wirkung aus, obwohl der Hauptaus-
schuß im Jahrbuch der Bodenreform 1 3. Band 1. Heft 1917
in zwei ausführlichen Artibeln einerseits über den Geld-
bedarf, andrerseits über Assignatenwirtschaft und auch die
„Bodenreform“ 1917 S. 137—143 eingehend und über-
zeugend die Gangbarkeit von geeigneten Maßnahmen dar-
taten.
Als am 20. Mai lols der Wohnungsausschuß des
Reichstags zur Behebung der Wohnungsnot vorschlug, daß