Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

294 
der verschiedenartigsten Tageszeitungen und Zeitschriften, 
der Hauptausschuß, dem anfänglich nur 35 Organisationen 
angehörten, lawinenartig anwuchs, so daß ihm gegenwärtig 
über 3600 Organisationen und Behörden angehören, die da- 
mit ihr Verständnis für die Bedeutung dieses Unternehmens 
und ihr Einverständnis, ja den Wunsch seiner Verwirklichung 
bekunden. 
Weil es sich um die Selbsterhaltung unseres 
Volkes handelt, diese aber Aufgabe der Gesamtheit ist, 
darum, sagte man sich, ist auch die Herbeiführung eines 
gesunden Siedlungswesens als Grundlage all und jeder 
ferneren Wohlfahrt und Leistungsfähigkeit Sache, Aufgabe 
der Gesamtheit. Darum aber ist 
ein Reichogesetz 
für neuzeitliches Siedlungowesen als Ausdruck des Gesamt- 
willens erforderlich und zu erstreben. 
In einer kurzen Eingabe wurde der am 20./21. November 
lols beschlossene Gesetzentwurf alsbald an den Reichstag 
geleitet und von diesem als Reichstagsdrucksache Nr. 1 der 
zehnten Kommission am 4. Dezember 1917 ausgegeben. 
Am 31. März 1915 legte der Reichskanzler von Beth- 
mann-Hollweg im Reichstage den Entwurf eines 
Kapitalabfindungsgesetzes 
vor. 
In der Beratung über diesen Entwurf kam zum ersten 
Male die Frage der Ansiedlung von Kriegsteilnehmern, 
warm befürwortet von Generalleutnant Staats= und Kriegs- 
minister Wild v. Hohenborn und, abgesehen von der So- 
zialdemokratie, allseitig in ihrer Bedeutung anerkannt, zur 
Verhandlung. 
Am 10. Mai stellten im Hauptausschuß — Budgetkom- 
mission des Reichstags — die Reichstagsabgeordneten Franz 
Behrens (Chr.-Soz.) und Giesberts (Ztr.) den An- 
trag, den Herrn Neichskanzler zu ersuchen, die Bestrebungen 
auf Schaffung von Heimstätten für Kriegsteilnehmer und 
deren versorgungsberechtigte Hinterbliebene tatkräftigst zu 
fördern und baldmöglichst einer gesetzlichen Regelung zu 
unterziehen. Dleser Antrag wurde am 11. Mai 1916 gegen 
die Stimmen der Vertreter der Freisinnigen Volkspartei und 
der Sozlaldemokratie angenommen. 
Am 24. Mai nahm der Deutsche Reichstag einstimmig 
folgende Entschließungen an: 
1. 
„Die verbündeten Regierungen werden ersucht, dem 
Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt einen Ge- 
sehentwurf vorzulegen, welcher bezweckt: Schaffung 
einer gesetzlichen Unterlage zur Errichtung von 
Kriegersiedlungen in Stadt und Land (Kriegerheim- 
stätten), wobei die bisher veröffentlichten, freien Ver- 
einigungen entstammenden Vorschläge mitbenutzt werden 
bönnen.“ 
2. 
„Der Herr Reichskanzler wird ersucht, die Bestrebungen 
nach Schaffung von Heimstätten für Kriegeteil- 
nehmer oder deren versorgungsberechtigte Hinterblie- 
bene tatkräftig zu fördern und baldmöglichst einer ge- 
setzlichen Regelung zu unterziehen mit dem ziele, 
Rechtsgrundlagen zu schaffen, welche solche Heim- 
stätten ihrem Zweck dauernd erhalten.“ 
Der erste Antrag war von dem Wohnungsausschuß, der 
zweite vom Hauptausschuß des Reichstage in Gemäßbeit der 
Vorberatung gestellt worden. — 
Dies vorerst das Schicksal des Gesetzentwurfs. 
Ende November und Anfang Dezember 1916 weilte Herr 
Damaschke auf einer Vortragsreise in dem besetzten Gebiete 
des Westens. Überall fand der Gedanke der Kriegerheim- 
stätten begeisterte Aufnahme, bei keinem aber mehr als bei 
dem Freiherrn von Bissing, dem leider am 18. April 
1017 allgufrüh verstorbenen feinsinnigen und verständnis- 
vollen Generalgouverneur in Brüssel, der sich im engeren 
Kreise mit seltener Hingabe zur Sache der Kriegerheimstätten 
bekannte. Er sagt (Ztschr. Bdrf. 10917 S. 250): 
„Ich kenne gar keine soziale und nationale Aufgabe, 
die wichtiger, größer und drängender wäre als diese. 
Selbst das Hilfsdienstgesetz reicht in meinen Augen nicht 
an das soziale Versöhnungswerk hinan, das die Krieger- 
heimstättensache, groß angelegt und entschlossen durch- 
geführt, bedeuten würde. Der deutsche verantwortliche 
Staatsmann, der hier nicht zufaßt, zufaßt mit beiden 
Händen, würde in meinen Augen die Aufgabe der Stunde 
versäumen! Hier könnte mit einem Schlag die Begeiste- 
rung unserer kämpfenden Helden an der Front erhöht 
werden, hier könnte ein Werk begonnen werden, das all 
die Geschwüre am Leibe unseres Volkskörpers: Alkoholis= 
mus, Geschlechtskrankheiten, Säuglingssterblichkeit, Un- 
sittlichkeit usp. zum guten Teil überwinden hilft, ein 
Werk, das damit unsere ganze nationale Zukunft fester, 
hoffnungoreicher zu gestalten vermag!“ 
Um seiner Bedeutung willen, und weil es von einer An- 
zahl großer Tageszeitungen nicht abgedruckt worden — in 
vielsagendem Schweigen —, möge Hindenburgs mannhaftes 
Anerkennungsschreiben hier eine Stätte der Beachtung fin- 
den. Es lautet (s. „Bodenreform“ 1018 Heft 1 S. 19: 
Gr. H.-Qu., den 18. 12. 17. 
Cbef des Generalstabes 
des Feldheeres. 
Sehr geehrter Herr Damaschkel! 
Die Arbeit des „Hauptausschusses für Kriegerheim- 
stätten“ findet mein volles Verständnis. 
Unsere Krieger, die ihr Vaterland unter schwersten 
Opfern so ruhmvoll vor dem Verderben geschützt haben, 
dürfen bei ihrer siegreichen Heimkehr nicht mit Woh- 
nungselend empfangen oder gar mit Frau und Kindern 
der Obdachlosigkeit preisgegeben werden. 
Das Vaterland soll jedem, der von ehrlicher Arbeit 
leben will, dazu helfen, ein vor Wucherhänden ge- 
schütztes Heim zu gewinnen, in dem deutsches Familien= 
leben und der Aufwuchs an Leib und Seele gesunder 
Kinder möglich ist. Das will Ihre Bewegung, und des- 
halb werden die besten Wünsche aller derer mit Ihrer 
Arbeit sein, welche die Größe unserer Zeit erkannt haben 
und es ehrlich mit unseren Kriegern und unserei Volke 
meinen. 
Es handelt sich hier um ein Werk von größter sozialer 
Tragweite. Je eher dieses in Angriff genommen wird, 
desto mehr wird es eine Quelle neuer Freudigkeit und 
dankbarer Hingebung unserer tapferen Truppen werden! 
v. Hindenburg. 
Reichsregierung, Bundesrat und Reichstag hatten über 
der Menge anderer, gewiß auch drängender Fragen die Sache 
der Kriegerheimstätten allerdings um keinen Schritt geför- 
dert. Die Geldfrage hatte über Erwägungen nicht hinaus- 
kommen lassen, das leidige Stichwort Assignatenwirtschaft 
übte eine lähmende Wirkung aus, obwohl der Hauptaus- 
schuß im Jahrbuch der Bodenreform 1 3. Band 1. Heft 1917 
in zwei ausführlichen Artibeln einerseits über den Geld- 
bedarf, andrerseits über Assignatenwirtschaft und auch die 
„Bodenreform“ 1917 S. 137—143 eingehend und über- 
zeugend die Gangbarkeit von geeigneten Maßnahmen dar- 
taten. 
Als am 20. Mai lols der Wohnungsausschuß des 
Reichstags zur Behebung der Wohnungsnot vorschlug, daß
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.