jetzt die ideale Begeisterung, die willige Opferfreudigkeit,
der feurige Drang, mit angespanntester Kraft das Höchste zu
leisten, kurz alles, was köstlich am Geiste von 1914 war,
in der studierenden Jugend lebendig; und dazu Frische und
Humor und bei den besten Köpfen soziale Einsicht und das
Geschick, gegenüber älteren ihnen unterstellten Männern
den richtigen Takt zu wahren. Unvergessen wird der An-
blick dieser jungen Menschen bleiben, die in Selbsizucht und
gediegenem Ernst sogleich gereifte Männer geworden zu
sein schienen. Etwa vier Fünftel aller Studierenden pfleg=
ten während der späteren Kriegssemester um Felde oder
sonst im Heere eingezogen und im Hilfsdienst oder beim
Roten Kreuz tätig zu sein. Ganz ungewöhnlich groß waren
die Verluste, welche die Leipziger Studentenschaft im Kriege
erlitt, zahlreicher, namentlich im Anfang, als an anderen
Universitäten: etwa lio haben ihr junges Leben mit all
den reichen Möglichkeiten geistiger Entwicklung dem Vater-
land als edelste Gabe dargebracht (etwa ein Fünftel des
gleichzeitigen Bestands, 20 00 gegen 6 00 bei der übrigen
männlichen Bevölkerung). Eine Ehrentafel in der Eingangs-
halle zum Hauptgebäude der Universität ist ihrem Andenken
gewidmet.
Auch aus den Reihen der Universitätslehrer wurden viele
der jüngeren zum Heere einberufen, und manche der älteren
meldeten sich zu freiwilligem, feldgrauem Dienst; andere
wurden ihrem besonderen Wissen und Können gemäß in
ebenso kriegswichtiger Tätigkeit verwendet oder nahmen eif-
rig an der vaterländischen Hilfsarbeit teil. Mehrere starben
den Tod fürs Vaterland; aber auch andere, die vorzeitig
durch seelische und körperliche Leiden aufgerieben dahin-
gerafft wurden, sind als Opfer der Kriegszeit anzusehen.
Nur wenige der bekanntesien seien genannt: von einer Reise
auf den belgischen Kriegsschauplatz im Frühfahr 1915 in
völliger Erschöpfung heimgekehrt, starb der Historiker Karl
Lamprecht, der noch kurz zuvor in Rede und Schrift seine
Gedanken einer Kulturpolitik vor dem deutschen Volbe warm
vertreten hatte; nach ihm verlor die Universität den geist-
vollen Rechtshistoriker R. Sohm, der auch als Sozialpoli-
tiker viel genannt war, ihren berühmten Kirchenhistoriker
Alb. Hauck und noch manchen ausgezeichneten Vertreter
eines besonderen wissenschaftlichen Fachs. Andere Männer
traten an ihre Stelle (W. Goetz als Nachfolger Lamprechts,
Alf. Schultze für deutsches Recht und Kirchenrecht, Felir
Krüger als Nachfolger W. Wundts, der in den Nuhestand
trat, L. Pohle für Nationalökonomie an Stelle K. Büchers,
der sich auf die Pflege der Zeitungskunde beschränken
wollte); auch neue jüngere Kräfte wandten sich dem aka-
demischen Lehramt zu.
Der innere Ausbau der Universitätseinrichtungen stand
trotz der Kriegsnot nicht still. In Ausführung schon früher
verfolgter Pläne, die K. Lamprecht angeregt und aufs eif-
rigste betrieben hatte, wurden sehr bald nach Kriegsbeginn
Institute für Forschungszwecke auf geisteswissenschaftlichen
Gebieten ins Leben gerufen. Die Mittel dazu gewährte
außer Zuschüssen des sächsischen Staates und der Stadt
Leipzig die aus reichlichen schon im Frieden bereitgestellten
Spenden von Leipziger Bürgern begründete König-Fried-
rich-August-Stiftung. So konnten im ersten Kriegswinter
zehn (später zwölf) „Staatliche Forschungsinsti-
tute“ für vergleichende Religionsgeschichte, Rechtsgeschichte,
Psychologie, Indogermanistik und Philologie, Geschichte,
Geographie, Völkerkunde, Volkswirtschaftslehre und Musik-
wissenschaft, die den Universitätsinstituten als besondere
Abteilungen für reine Forschungozwecke angegliedert sein
sollten, begründet werden; die wirkliche Förderung der neuen
wissenschaftlichen Unternehmungen war freilich durch den
Krieg stark gehemmt. Die eigentlichen Universitätsinstitute
selbst wurden durch das Südosteuropa= und Islam-Institut
sowie das Institut für rumänische Sprache vermehrt; im
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Germanistischen Institut wurde eine besondere flämische
Abteilung begründet, das englische Seminar mit dem ro-
manischen zu dem Englisch-Romanischen Institut verbunden
und erweitert. Selbständigkeit erlangte das Kolonial-
geographische Seminar; in Umwandlung eines schon be-
stehenden Seminars wurde ein eigenes Seminar für säch-
sische Geschichte eingerichtet. Schließlich entstand auch ein
Institut für Zeitungskunde. So gaben die Kriegsvorgänge
in ihrer Weise manche Anregung zur Erweiterung der ge-
wohnten Wissenschaftspflege, wie sich dies auch in der
Wahl neuer Gegenstände für Vorlesungen und Praktika
kundgab. Einer besonderen durch den Krieg erwachsenen
Aufgabe dient das beim Historischen Institut geschaffene
Kriegsarchiv, in welchem wichtige auf die Kriegszeit
bezügliche Drucksachen (Zeitungsausschnitte und Broschü-
ren) vornehmlich dank den Bemühungen von Professor
Herre angesammelt und geordnet worden sind, ein vorzüg-
Karl Lamprecht, Professor der Geschichte an der Universität
Leipzig (gest. 9. Mai 1915)
liches Material für künftige Studien zur politischen Ge-
schichte der allerjüngsten Vergangenheit.
In ähnlicher Weise, wie die Landesuniversität, erlebte die
Technische Hochschule in Dresden den Weltkrieg, die
mit der dortigen Tierärztlichen Hochschule und mit
den beiden bleineren umweit gelegenen Hochschulen, der ForstO-
abademie in Tharandt und der Bergbauakademie
in Freiberg, eine engere Vereinigung zu Lehr= und For-
schungszwecken bildete. Bei der gesteigerten Bedeutung,
welche gerade die „angewandten“ Wissenschaften in den
schweren Kriegsjahren als Retterinnen in der Not durch
Bereitstellung von allerhand neuen Hilfsmitteln erlangten,
erwies sich der Besitz jener Hochschulen mit ihren Lehrern
und Lernenden sowie den schon im Frieden ausgestalteten
Vorrichtungen für Erperimente, Konstruktionen und dergl.
als ein für Sachsen ganz außerordentlich schätzbares Gut.
Die Generaldirektion der Kgl. Sammlungen wurde dem
Kultusministerium unterstellt. Meist war es möglich, die
Erwerbungen glücklich fortzusetzen; die Bildergalerie wurde
teilweise neu geordnet, das Historische Museum nach Voll-
endung der neuen Aufstellung wieder geöffnet; bei manchen
Sammlungen mußte man sich freilich mit Vorbereitungen