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begnügen. Weiter gefördert und auch schon praktisch nutz-
bar gemacht wurde das aus der Abteilung „Der Mensch“
der Weltausstellung 1912 hervorgehende Nationale Hy-
gienemuseum, das eine ganz einzigartige Zierde Dres-
dens zu werden verspricht; sein Schöpfer, der Wirkliche
Geheime Rat Lingner, ist während des Krieges gestorben
(1916).
Mochte es anfänglich scheinen, als ob der unpraktische
Mann der deutschen Gelehrtensiube während des kriegerischen
Treibens nicht besonders hoch im Kurse stehe, so erhielten
doch allmählich die Lehrkräfte der Universität wie auch der
anderen Hochschulen des Landes ihr Tätigkeitsfeld in Be-
währung der ihnen eigenen Leistungsfähigkeit. Wie man-
cher Rat mag von ihnen in der Stille erteilt, wie manche
Ermittlung oder gutachtliche Außerung getan worden sein!
Nach außen hbin trat die Vortragstätigkeit mehr hervor.
Schon im ersten Kriegswinter wurden auf Anregung des
Königlich Sächsischen Kultusministeriums im ganzen Lande,
selbst in abgelegenen Dörfern, belehrende Vorträge über
volkswirtschaftliche, geschichtliche und erdkundliche, natur-
wissenschaftliche, technische Fragen gehalten. Später fand
die Veranstaltung von allerlei Lehrkursen bei den Truppen
an der Front oder in der Etappe, in Belgien und Frank-
reich, im Baltenland, in der Ukraine und Mazedonien überall
freudigen Anklang. Daneben nahmdie schriftstellerische Tätig-
keit der Gelehrten, wenn auch nur eingeschränkt, ihren Fort-
gang. Natürlich wurde sie von den Interessen, die der
Krieg wachrief, beeinflußt: Geschichte und Geographie,
Wirtschaftswissensehaft, Politik waren bevorzugt; als ein
Beweis dafür, was noch möglich war, seien W. Wundts
Völkerpsychologie, Band 5—8, K. Lamprechts Buch „Deut-
scher Aufstieg 1750—1814“, eine der gelesensten Schrif-
ten der Frühzeit des Krieges (im September 1914 geschrieben,
noch vor Jahresschluß in acht Auflagen, bis 1916 in
25 000 Erxemplaren verbreitet), ferner die Vollendung des
dreibändigen Werkes des Leipziger Historikers Er. Branden-
burg über „Die Reichsgründung“ (Quelle & Meyer 1910),
endlich auch der Abschluß des ersten Bands einer wissen-
schaftlichen „Bibliographie der sächsischen Geschichte“ in
den Schriften der Königlich Sächsischen Kommission für
Geschichte (B. G. Teubner 1918) erwähnt. Auch neue rein
wissenschaftliche Unternehmungen, zu denen der Krieg Ge-
legenheit und Anlaß bot, wurden gefördert: Professor
C. Gurlitt-Dresden schrieb über die sächsischen Bauten War-
schaus; Staatsarchivar Dr. Lippert, jetzt Direktor des säch-
sischen Hauptstaatsarchivs und Oberst Hottenroth, damals
Vorstand des Königlich Sächsischen Kriegsarchivs in Dres-
den, wurden zu einer Forschungsreise nach Kurland und
Polen gesandt. Im Auftrag des Königlich Sächsischen
Ministeriums des Kultusg und öffentlichen Unterrichts
unternahm Oberstudienrat Rektor O. E. Schmidt in Frei-
berg, der schon zuvor seine Erlebnisse einer Fahrt zu
den Sachsen an der Front anziehend geschildert hatte
(l915), Vorarbeiten zu einer Geschichte Sachsens und
des sächsischen Heeres im Weltkrieg. Wie vieles wurde
an Einzelbeobachtungen und gelegentlichen Untersuchungen
wissenschaftlicher Art im Felde, in Verwaltungsbureaus,
in Laboratorien auch von sächsischen Gelehrten geleistet!
Auf all diese mannigfaltigen Bemühungen gesehen, wird
das Urteil erlaubt sein: die Wissenschaftspflege in Sachsen
hat ihres Dienstes in der Kriegszeit nicht gesäumt.
3. Dichtung und Musik
Wenn die geistige Bewegung von 1813 noch heute nicht
nur in den Büchern der Geschichtschreibung, sondern wirklich
im Volksbetußtsein fortlebt, so wird dies den Sängern
der Freiheitskriege mitverdankt, deren Lieder und Weisen
volkstümlich geworden und geblieben sind; in der Zeit her-
einbrechender Kriegsnot 1914 wurden sie wieder gesungen
als treffendster Ausdruck für das, was man selbst heiß
fühlte an Liebe zum Vaterland, an freiheitofrohem Mut und
auch an zornigem Willen. Sollte nicht auch der Weltkrieg,
wie anderwärts in Deutschland, so auch im Geburtslande
Theodor Körners eine Dichtung hervorgerufen haben, die
das geistige Erleben jener wunderbaren an Schmerz und
Hochgefühl überschäumenden Zeit in kräftige, klare Form zu
fassen vermochte und dauernden Wert in der Literatur= und
Kulturgeschichte behält?
In der Tat, eine Flut von Dichtung ist dahingerauscht
und hat dem seelischen Verlangen jener Tage genüge ge-
tan. Menschen allerverschiedenster Art haben ihr Denken
und Fühlen in dichterische Worte geprägt: Schriftsteller
und Künsiler von Beruf, Männer der Wissenschaft und der
praktischen Verwaltung, Geistliche, Offiziere, auch einfache
Leute aus der Menge des Volbs, kaum Herangereiste Jüng=
linge, mütterliche Frauen und junge Mädchen, wirklich war
eg das Volk, zumal in seinen höher gebildeten Ständen,
das wie eine große dichtende Gemeinschaft mit einer un-
endlichen Fülle von Stimmen auftrat, so recht der Ausdruck
einer Zeit, in welcher ein Heer von Millionen zur Front
geschickt ward. Aber eben an solcher Überfülle war es ge-
legen, daß der einzelne nicht durchdrang. Während einst
Führer im Chor hervorgetreten waren, so daß ihr Name
im Gedächtnie haften blieb, stellt sich die Dichtung von
1914 und den folgenden Jahren dem rückschauenden Blick
als eine Massenerscheinung dar, bei deren gewaltiger Größe
sich das Einzelne und Besondere wenig heraushebt. Durch-
schlagskraft in dem Sinne, daß von echt volkstümlicher.
Verbreitung gesprochen werden kann, daß Lieder in aller
Munde lebten, haben Gedichte eines Sachsen nicht gewonnen,
mag auch ihr geistiger Gehalt und ihre künstlerische Form-
gebung im einzelnen Fall durchaus hoch stehen.
Dabei spiegelt sich in der Entwicklung dieser Dichtung
die des ganzen geistigen Lebens überaus bezeichnend wieder.
In der ersten starken Erregung nach Kriegsausbruch gab
die Poesie des unmittelbaren Gefühlsausdrucks, die Lyrik,
den Ton an: in Nachahmung des älteren Volkslieds, in der
Kunstform unserer Klassiker und Romantiker, wohl auch
einmal naturalistisch gefärbt. Später, als mehr das Ereig-
nishafte die Volksphantasie beschäftigte, als eine Folge
von Erlebnissen zur Darstellung drängte, ward die Er-
zählung beliebt, in breit angelegter oder in knapp novelli-
stischer Form. Die Dichtung in dramatischer Gestalt blieb
nur eine bescheidene Nebenströmung; allzusehr fehlte es
an den Vorbedingungen für ihre Pflege. Als der Antrieb
der literarischen Bewegung zu wurken nachließ, lief sie
gleichsam in die mancherlei Darbietungen aus, in denen
noch bis in die Spätzeit des Krieges hinein das Große und
die Phantasie Erregende aus der Gegenwart oder gesin-
nungsverwandten Vergangenheit der heranwachsenden Ju-
gend nabegebracht wurde.
Darf aus der Masse des Gebotenen einiges herausgegrif-
fen werden, um die Züge dieses Bildes der Kriegsdichtung
noch etwas schärfer zu fassen? Nicht im Sinne einer Aus-
wahl des Bedeutenderen könnte dies geschehen; nur einiges
gerade für Sachsen Bemerkenswerte sei erwähnt. Noch ist
es unvergessen, wie Freiherr Börries von Münchhausen,
der kernige Dichter auf sachsen-altenburgischer Erde, nach
Kriegsbeginn wieder als einsacher Gardereiter in Dresden
eintrat und mit Wort und Werk zum seelischen Aufschwung
jener Tage half! In Leipzig gab Landgerichtsrat Eugen
Müller schon am 2. September 1914 eine Sammlung
„Dae Kriegsliederbuch“ heraus; später erschien die „Samm-
lung von Kriegsdichtungen aus dem Sachsen-
lande“ (1914/17) mit Beiträgen namentlich in Dresden
lebender Schriftsteller (Ottomar Enking, Mar Bewer,
Georg Irrgang, Prof. K. Woermann, Prof. Heinr. Sscha-
lig, Pfarrer Warmuth u. a.). Mancherlei in Ernst und