384
Die Volkswirtschaft Sachsens im Kriege
Von Oberbürgermeister Dr. Külz
Die deutsche Volkswirtschaft im Kriege wird noch auf
Jahrzehnte hinaus eine unerschöpfliche Quelle der Forschung
bleiben. Sachsen ist es dabei beschieden, die Zentralstelle
dieser Forschungsarbeit für ganz Deutschland in seiner wirt-
schaftlich bedeutendsten Stadt, in Leipzig, zu haben.
Die drei gesetzlichen Vertretungskörper der hauptsäch-
lichsten deutschen Erwerbsstände, der Deutsche Landwirt-
schaftsrat, der Deutsche Handelstag und der Deutsche Hand-
werks= und Gewerbekammertag, haben sich unter Beihilfe
der Reichs= und Gliedstaatsbehörden sowie hervorragender
Männer auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens zusammen-
getan, um in einem deutschen Kriegswirtschaftsmuseum in
Leipzig ein Denkmal der wirtschaftlichen Betätigung Deutsch-
lando im Weltkriege zu schaffen. Es soll in seinen Samm-
lungen und Darbietungen nicht nur historische Werte pflegen,
sondern zugleich belehrend, anregend und befruchtend für
die kommenden Zeiten wirken und die Erfahrungen der
Kriegszeit für die Aufgaben der deutschen Volkswirtschaft
nutzbar machen helfen. Das Museum zerfällt in eine Dar-
stellung der bemerbenswerten Formen und Einrichtungen
der Kriegswirtschaft, die durch Waren, Modelle, Muster,
graphische, figürliche und sonstige körperliche Darstellungen
der breiten Masse der Bevölkerung wirtschaftliches Ver-
ständnis vermitteln wird; in eine Bibliothek der in= und
ausländischen Literatur über die deutsche Kriegswirtschaft,
als notwendige literarische Ergänzung der Sammlung; in
ein Archiv, das den urkundlichen Materialien der Kriegs-
wirtschaft an Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen,
Berichten, Statistiken, privaten Aufzeichnungen usw. einen
Sammelpunkt bieten soll. Das Museum soll aber nicht
nur eine Sammlung sein, sondern es soll der Wissenschaft,
der Volksbildung und der Wirtschaftspraris darüber hinaus
durch eine Reihe planmäßiger weiterer Einrichtungen befruch-
tend dienen. An wissenschaftlichen Einrichtungen sind regel-
mäßige Vorträge, Kurse, Spezial= und Wanderausstellungen
geplant, und im engen Zusammenarbeiten mit den Volks-
bildung#organisationen sollen die wirtschaftlichen Zusammen-
hänge und Nutzanwendungen mit allen Mitteln zur gegen-
ständlichen und bildlichen, damit aber zur allgemeinverständ-
lichen Darstellung gebracht werden. Das Museum wird
bei richtiger Leitung zweifellos eine immer neue Anregung
und Belehrung bietende Bildungsstätte werden.
Wie für das ganze Deutsche Reich, so wird es auch be-
sonders für Sachsen in den kommenden Friedensjahren eine
überaus wichtige Aufgabe sein, rückblickend bis zu den letzten
Zusammenhängen alle die Wirkungen und Einflüsse zu ver-
folgen, die der Krieg auf die wirtschaftlichen Verhältnisse
unseres engeren Heimatlandes gehabt hat. Ein endgültiges
Urteil hierüber ist zurzeit ebensowenig möglich, wie eine
abgeschlossene Darstellung. Immerhin läßt sich auch jetzt
schon wenigstens in großen und groben Umrissen das Bild
der Volkswirtschaft Sachsens im Kriege zeichnen. Als ein
organischer und wesentlicher Teil des großen deutschen Wirt-
schaftsgebietes steht das Wirtschaftsleben Sachsens im all-
gemeinen unter denselben Einwirkungen wie dieses. So voll-
zieht sich in den Kriegsjahren die Entwickelung auch in Sachsen
unter dem Feichen notwendiger Unterordnung von Industrie,
Handel, Gewerbe, Landwirtschaft und Einzelwirtschaft unter
die Interessen der Landesverteidigung. Als besonders kenn-
zeichnende Folgen ergeben sich hieraus auch für Sachsen
eine weitgehende Ausschaltung der Einzelwirtschaft durch
Jentralisierung und Verstaatlichung der Wirtschaftsführung,
eine Beschlagnahme fast aller Rohstoffe und Fabrikate, Ein-
und Ausfuhrverbote, Stillegung und Zusammenlegung von
Betrieben und Beschränkung der Verkehrsmöglichkeiten. In
einem auf so hoher wirtschaftlicher Entwickelungsstufe stehen-
den Lande wie Sachsen mußten diese Einflüsse von besonders
weittragenden Folgen begleitet sein. Auf der anderen Seite
war gerade in der Leistungsfähigkeit der sächsischen Privat-
wirtschaft und Staatswirtschaft auch wieder die Gewähr
gegeben, nicht nur mit Erfolg den störenden und hemmenden
Einflüssen des Krieges auf lange Zeit zu begegnen und schäd-
liche Wirkungen auf das möglichste Mindestmaß zu be-
schränken, sondern auch die ganze Betätigung auf das Höchst-
mafß dessen einzustellen und umzustellen, was zur Erreichung
der Kriegsziele nötig schien.
Die Einwirkungen des Krieges auf das Wirtschaftsleben
sind so nachhaltig und tiefgehend, daß sie sowohl die Welt-
wirtschaft wie die Volkswirtschaft der einzelnen Länder gänz-
lich umgestaltet haben. Mit Recht wird in einem der Wirt-
schaftsberichte, welche während des Krieges in äußerst ver-
dienstvoller Weise das sächsische Bankhaus Gebrüder Arnhold
in Dresden herausgab, darauf hingewiesen, daß fast nirgends
mehr die Richtlinien und Grundlagen der früheren Zeit maß-
gebend geblieben sind. Bedarf und Versorgung haben sich
geändert, die Preisbewegung hat sich verschoben, der Handel
ist gehemmt, der Verkehr unterliegt anderen Bedingungen,
die Geldwirtschaft zeigt ein anderes Gesicht wie früher —
kurzum, jede Lebensäußerung ist von den Ereignissen irgend-
wie betroffen worden. Besonders nach drei Richtungen hin
tritt dies in Erscheinung: In der Versorgung der Bevölke=
rung mit Nahrungs= und Genußmitteln, in der Zuführung
von Rohmaterialien und in der Ersatzwirtschaft. Art der
Waren und verfügbare Mengen unterscheiden sich grund-
legend von denen in Friedenszeiten. In allen Erwerbs-
zweigen sind tiefeinschneidende Umgestaltungen zu beobachten.
Eine Leistung ersten Ranges, eine Probe von außerordent-
licher Tüchtigkeit, wird es dabei stets bleiben, wie das
sächsische Volb, Industrie, Handel und Gewerbe es ver-
standen haben, sich diesen neuen Aufgaben anzupassen und
unter den erschwerten Verhältnissen das Wirtschaftsleben
aufrechtzuerhalten. Wie die militärische Haltung, so wird
die wirtschaftliche Einstellung während der Kriegsjahre stets
ein Ruhmesblatt für das deutsche Volk bleiben und überall
in der Welt Anerkennung erzwingen.
Manches ist geschaffen worden, was allmählich wieder
verschwinden, vieles aber auch, was fortleben wird, sei es
in gleicher Gestalt, sei es als Anregung zu neuen Forschungen
und Fortschritten. Die Kriegswirtschaft wurde ohne Vor-
bereitung begonnen. Ein siückweiser Aufbau setzte ein, wie
gerade die Verhältnisse es am dringendsten erforderten, ohne
daß ein einheitlicher Plan die Grundlage gebildet hätte. Die
Erfahrungen, die so teilweise teuer erkauft sind, müssen der
Zukunft erhalten bleiben, die aus ihnen lernen soll. Die
Kriegswirtschaft ist eine besondere Wirtschaftsform, nicht
nur unterbrochene Friedenswirtschaft. Sie muß als Ganzes
erfaßt und begriffen werden, das gilt auch für die Volks-
wirtschaft Sachsens im Kriege.
Die Industrie
Sachsen ist seiner wirtschaftlichen Eigenart nach ein In-
dustriestaat. Die wirtschaftlichen Verhältnisse vor dem Kriege
standen im Zeichen starker Belebung durch die wechselseitigen
Beziehungen zwischen Inland und Ausland. Der Bezug von
Rohstoffen aus dem Ausland und der Absatz der Erzeugnisse
nach dem Auslande waren ganz allgemeine wesentliche Vor-
bedingungen der Blüte des sächsischen Wirtschaftslebens.
Wohl nur wenige von uns haben je daran gedacht, daß dies