Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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tallgegenständen aller Art zu tun. Die Emaillierwerke hatten 
mit Kochgeschirren, Teilen von Minenwerfern, Maschinen- 
gewehren, allerhand Bedürfnissen des Heeres Gelegenheit 
zur Arbeit. Ebenso war die lederverarbeitende In— 
dustrie, soweit sie Friedensartikel wie Koffer, Taschen, 
Mappen, Schuhe usw. herstellte, leicht auf Tornister, Pa- 
tronentaschen, Leibriemen, Sattelzeuge, Militärstiefel usw. 
einzurichten. Auch die chemische Industrie konnte viel- 
fach der Umstellung schneller entsprechen, ebenso die Holz- 
industrie für Wagen aus Holz, Munitionskästen, Zelt- 
stäbe, Geschoßkorbteile, Handgranatenstiele usw. Sägewerke 
fabrizierten Bohlen, Bretter für das Heer. Schwieriger 
war schon die Umstellung bei Betrieben, die auf ganz neue 
Herstellungsweisen übergehen mußten, so wenn eine Fabrik 
künstlicher Blumen Granatzünder, eine Tapetenfabrik Mar- 
melade herstellte, eine Geigenfabrik Munitionskästen machte, 
Spinnereien und Zuckerwarenfabriken die Metallbearbeitung 
aufnahmen, Buchbindereien Tornister usw. herstellten und 
Fabriken für Musikapparate Granatenteile, Geschoßkörbe usw. 
aufnahmen. Andere Industriezweige, wie die Spinnereien, 
die Tuchfabriken, die Wirkereien mußten die von der Heeres- 
und Marineverwaltung gewünschten gröberen Qualitäten her- 
stellen und entsprechende Einrichtungen treffen, soweit sie 
nicht schon vorhanden waren. 
Auch in den Werken, in denen die Umstellung schnell 
vonstatten ging, machten sich übrigens Neueinrichtungen und 
insbesondere Erweiterungen nötig; man mußte häufig Neu- 
bauten errichten, vorhandene Werkstätten erweitern, den Platz# 
mehr ausnützen, zum teilweisen Ersatz männlicher Arbeits- 
bräfte, z. B. Transporten, wurden arbeitsparende Ma- 
schinen angeschafft, und in großem Umfange sind durch ge- 
meinsames Zusammenwirken der Privatindustrie mit den 
staatlichen Werkstätten, den Artilleriewerkstätten und Feld- 
zeugmeistereien technische Verbesserungen aller Art an Ma- 
schinen und Betriebseinrichtungen angebracht worden, teils, 
um die Produktion zu steigern oder sie rationeller zu ge- 
stalten teils um den besonderen, technisch oft sehr schwierig 
zu befriedigenden Anforderungen der Heeresverwaltung zu 
entsprechen. Die sächsische Industrie hat hierin Bedeuten- 
des leisten müssen, da sie eben auf eine ganz andere Art 
der Fabrikation eingerichtet war. Auch ganz neue Unter- 
nehmungen wurden gegründet, so z. B. neue Stahlgieße- 
reien, deren es biöher in Sachsen wenige gab; besonders 
interessant ist die Einrichtung oder Wiederaufnahme von 
Produktionsstätten für die Wolframerzgewinnung 
und Sverarbeitung. Dieses Material, das zur Stahlver- 
edelung gebraucht wird, wurde früher nur von auswärts be- 
zogen; die Not des Krieges und der Abschluß Deutschlands 
von überseeischer Nohstoffzufuhr, gaben Veranlassung, alte, 
schon stillgelegte Gruben, in denen früher dieses Erz ge- 
wonnen wurde, wieder neu zu öffnen und sogar Wolfram- 
schlacken, die z. B. in den Bezirken von Chemnitz und Dres- 
den auf den Halden lagen, zu verarbeiten, um das Wolfram 
daraus zu gewinnen. Vor allem fand auch die Gesenk- 
schmiederei, die Flugzeugfabrikation, der Bau von U-Boot- 
und Maschinengewehrteilen, das Gießen und Ausbohren von 
Geschützrohren Eingang in Sachsen, und es wurden teil- 
weise neue Betriebe hierfür, wie für die Herstellung anderer 
Heeresgeräte errichtet. Einige Werke des Steinkohlenberg= 
baus in Zwickau gingen, ebenso wie eine ganze Reihe von 
gemeindlichen Werken, auf Veranlassung der Heeresver- 
waltung, zur Errichtung von Anlagen für die Gewinnung von 
Benzol und anderen Nebenprodubten aus Steinkohle über. 
Wie schon erwähnt, sind solche Umstellungen und An- 
passungen an Lieferungen für das Heer aber nicht in allen 
Industriezweigen möglich gewesen; so haben die Ziegeleien, 
wie überhaupt das gesamte Baugewerbe, ferner die 
Seifenindustrie, die Schokoladen= und Zuckerwaren= 
industrie, die Fabriken, welche Weißwaren, Steckereien, 
Spitzen, Gardinen, Handschuhe, Wirkwaren herstellten, an 
diesem Umstellungsprozeß sich nicht beteiligen können. Die 
Zahl der vom Heer benötigten Gegenstände, die viele Tertil- 
betriebe auf ihren feinen Maschinen herstellen konnten, war 
nur gering, während für diese Artikel gerade in fast allen 
Teilen des Reiches, namentlich auch in Berlin, ein die Nach- 
frage weit übersteigendes Angebot vorhanden war. Daher 
haben denn auch die Bezirke, in denen diese Artikel her- 
gestellt wurden, wie Auerbach i. V., Falkenstein, 
Eibenstock, Plauen i. V., Teile des Chemnitzer 
Kreises, wo die Feinhandschuh= und Wirkwarenindustrie 
besonders stark vertreten ist, sehr gelitten, ihre Arbeitskräfte 
wanderten ab nach anderen Gegenden, wo die Rüstungs= 
industrie sie gern aufnahm, und die Betriebe haben erst im 
späteren Verlauf des Krieges, als die Warenknappheit sich 
bemerkbar machte und auf die ältesten Lagerbestände zurück- 
griff, durch Verwertung ihrer Läger, durch Umarbeitung 
alter Vorräte wieder etwas arbeiten können. Den größten 
Teil des Krieges standen aber ihre Betriebe still, zehrten 
sie von dem Kapital, für das sie keine Verzinsung aus dem 
Betriebe herauswirtschaften konnten. Der Volkswirtschaft 
sind dadurch ungeheure Werte entgangen. 
Ein Umstand, der die sächsische Industrie sehr gehindert 
hat, sich schon früher in größerem Umfange auf Kriegs- 
materialherstellung einzurichten, war die Schwierigkeit, solche 
Aufträge rasch und zuverlässig zu erlängen. Es bestand 
zweifellos nicht die erforderliche Organisation, um die gro- 
ßten Aufträge immer an die richtige Stelle zu leiten. Die 
sächsische Industrie befand sich insofern in ungünstiger Lage, 
als bei weitem der größte Teil der Heeresaufträge in 
Berlin vergeben wurde, entsprechend dem großen preu- 
ischen Heereskontingent und wegen der Tatsache, daß der 
Sitz der wichtigsten militärischen Behörden des Heeres und 
der Marine in Berlin sich befand. Es feblte diesen Behörden 
aber von Anfang an der Uberblick über die Produktions-= 
werkstätten und die Erzeugungsfählgkeit der Industrie in 
den einzelnen Bundesstagten, namentlich in Sachsen; auch 
waren sehr häufig nicht genügend wirtschaftlich durchgebil- 
dete Kräfte bei den vergebenden Stellen tätig, da die Aus- 
wahl der bei ihnen tätigen Offiziere mehr nach militärischen 
als nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte. Dazu 
kam, namentlich in der ersten Hälfte der Kriegszeit, die 
außerordentliche Dringlichkeit des Bedarfes. Ganze Armee- 
korps mußten in kürzester Frist neu aufgestellt und aus- 
gerüstet twerden, so daß die hiermit beauftragten Stellen die 
Waren dort hernahmen, wo sie dieselben am schnellsten 
und ohne große Umstände bekommen konnten. So kam es 
denn, daß ein Heer von Zwischenhändlern und Schie- 
bern sich an die militärischen Vergebungsstellen heran- 
machte, die große Aufträge im Werte von Hunderttausen- 
den von Mark erhielten und diese dann mit erheblichem 
Zwischengewinn bei den Indusiriellen Sachsens unterzu- 
bringen suchten. Trotz aller energischen Versuche, dieses Un- 
wesen zu beseitigen, ist während der ganzen Dauer des 
Krieges gerade in Sachsen die Klage nicht verstummt, daß 
der Fabrikant häufig trotz größter Mühe und Rührigkeit 
nicht in der Lage war, die Aufträge dort zu erhalten, wo 
man sie erteilte, sondern sie sich aus zweiter oder dritter 
Hand geben lassen mußte, bei welchem Verfahren die Zwi- 
schenhändler natürlich erhebliche Gewinne machten. In 
Sachsen sind infolgedessen viele Fabrikanten nur die aus- 
führenden Werbleiter von Leuten gewesen, die eigentlich 
zum Empfang der Aufträge nicht berechtigt waren, und es 
ist jedenfalls die große Produktionsfähigkeit der sächsischen 
Industrie nicht in dem Maße ausgenützt worden, wie das 
im Interesse der sächsischen Volkswirtschaft erwünscht und 
auch durchaus möglich gewesen wäre, wenn sich die vergeben- 
den Stellen immer an die richtigen Adressen, die industriellen 
Verbände und die Handelskammern zur Erlangung von Ver-
	        
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