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diese fehlenden Kräfte am besten Ersatz fanden, wenn sie
sich auf der Messe mit ihren Waren selbst zeigten. Das
Geschäft war flott, da der Bedarf an Gegenständen des
täglichen Bedarfes, tvie an Spiel-, Porzellan-, Glaswaren
uU#w., sogar auch an Kunst= und Luxusgegenständen schon
im Herbst lols recht bedeutend war. Die Befruchtung
des Wirtschaftslebens durch die für Heeresbeschaffungen
aufgenommenen Anleiben, machte sich schon damals gel-
tend und fand in verstärkter Kauflust ihren Ausdruck.
Die vierte Periode
der Ansbildung der staatlich regulierten Zwangswirtschaft
Herbst 1915 bis Anfang 1916
In dieser Periode erhielt die Wirtschaft ein wesentlich
andereo Aussehen. Die staatliche Bewirtschaftung der Pro-
duktion und des Absatzes, die in der dritten Periode begonnen
hatte, wurde auf bisher nicht erfaßte Gebiete ausgedehnt, die
Beschlagnahme und Erfassung von Rohstoffen, Halb= und
Ganzfabrikaten, die für das Heer von Wichtigkeit waren,
wurde wesentlich verschärft. Wenn trotzdem der Geschäfts-
gang im Gesamtbild nicht schlechter wurde, so lag das
daran, daß die sächsische Industrie sich mehr als bis-
her auf Heereslieferungen einrichtete. Der Anfang
der staatlichen Zwangswirtschaft fällt schon in das Jahr
lols, nur wurde sie damals noch nicht so drückend be-
merkbar und auf das Nötigste beschränkt. Die Veran-
lassung zur Einführung der Zwangswirtschaft war wohl
das Mißlingen des deutschen Angriffsplanes, der darauf
angelegt war, in entscheidendem Schlage zunächst in Westen
Luft zu schaffen, der an der Marne im September 1914
aber zum Stehen kam. Dies machte das erwartete baldige
Ende des Krieges ungewiß und veranlaßte die wirtschaft-
lichen Berater des preußischen Kriegsministeriums, noch
im Jahre 1914 zur Sicherung des Heeresbedarfes auf
eine längere Kriegsdauer gewisse Maßregeln zu ergreifen,
um die vorhandenen Rohstoffvorräte, soweit sie für Her-
stellung von Heeresmaterial in Frage kamen, für diesen
Zweck zu reservieren. Es wurde die Kriegsrohstoff-Ab-
teilung des preußischen Kriegsministeriums begründet,
die sofort mit Beschlagnahmeverordnungen und
beschränkenden Bestimmungen für die Erzeugung,
Verarbeitung, die Aus= und Einfuhr von Rohstoffen, Halb-
oder Ganzfabrikaten ihre Tätigkeit begann. Sie war der
Anfang der staatlichen Zwangswirtschaft, die später auch
auf alles ausgedehnt wurde, was mit der Versorgung der
Bevölkerung mit Nahrungeomitteln, Kleidung und sonsti-
gem nötigen Lebensbedarf zusammenhing, dadurch eine ge-
waltige Ausdehnung in der deutschen Volkswirtschaft er-
langte und Industrie, Handel und Gewerbe nach und nach
vollständig in Fesseln schlug. Alle Bestände an Faser-
stoffen, Metallen, Olen, Fetten, Hölzern, Chemikalien,
Leder und sonstigen Roh= und Halbstoffen, die irgendwie
für Heereslieferungen oder die Versorgung der Bevölke-
rung mit notwendigem Eristenzbedarf von Wichtigkeit
waren, wurden mit Beschlag belegt und durften ohne
besondere Erlaubnis weder für Heeres= noch Privat= und
Exportaufträge verwendet werden. Auch Halbfabrikate aus
diesen Stoffen, sogar fertige Artikel, fielen darunter.
Inzwischen schritt die Wirkung der Blockade unauf-
haltsam vorwärts, vielfach nicht sofort bemerkt. Die Ne-
gierung suchte den Wirkungen durch Einstellung der Wirt-
schaftsführung auf die veränderte Lage zu begegnen. Sie
griff in immer größerem Maße „vegelnd“ ein, Verbote
lasteten bald auf der Wirtschaft, und diese Gesetzgebung be-
gründete jene Kriegszwangewirtschaft, an die jeder
Industrielle nur mit einem gelinden Schrecken zurückdenken
wird. Es wurden für die staatliche „Bewirtschaftung“ aller
für die gesamte Kriegswirtschaft in Frage kommenden Gegen-
stände Ausschüsse, Gesellschaften, Verbände, Kommissionen,
Abteilungen, Referate geschaffen und von diesen Stellen aus
mit ihren weitgehenden Vollmachten die Produktion ge-
regelt und masgebend beeinflußt. Für die Industrie er-
wuchsen eine Fülle von Schwierigkeiten aus dieser büro-
kratischen Produktionsregelung und Nohstoff-
verwaltung. Unzählige Verordnungen, Richtlinien, Vor-
schriften regelten die Arbeitsweise in den Fabriken, den
Verbrauch der Rohstoffe, ihren Ersatz durch andere Stoffe,
sowie die Möglichkeit der Ausfuhr. Für die Hersiellung
von Friedens= und Exportwaren wurden „Freigabescheine“
auogestellt, und es wurde genau und oft mit großer Um-
ständlichkeit, wohl auch allzu großem Bureaukratigmus
geprüft, ob die Freigabe der beantragten Menge Metall
oder sonstiger Rohstoffe erfolgen könnte oder nicht. Das
wirkte auf die Produktion usw. außerordentlich erschwerend,
erforderte die Aufstellung von Statistiken, Bescheinigungen,
Formularen, Beglaubigungen und sonstigen Nachweisungen
aller Art; Besuche bei den entsprechenden Stellen in Ber-
lin, Anfragen waren oft wegen Kleinigkeiten nötig, und
man muß die Anpassungsfähigkeit und die Aus-
dauer der sächsischen Industriellen bewundern, daß
sie trotz dieser Schwierigkeiten den Mut zur Produktion
nicht verloren. Es gehörte oft eine große Portion von
Energie dazu, sich durch diesen Wirrwarr von Vorschriften,
Paragraphen, Verordnungen, Bescheinigungen zuständiger
Stellen usw. durchzuwinden. Ganz besonders hat der Ex-
port unter diesem System gelitten, da Waren, bei deren
Herstellung beschlagnahmte Rohstoffe selbst in geringer
Menge verwendet waren, die Ausfuhrerlaubnis nicht oder
erst nach langem Verhandeln erhielten, häufig, wenn der
ausländische Abnehmer sie gar nicht mehr gebrauchen konnte.
Diese Schwierigkeiten haben dem sächsischen Export un-
endlich geschadet und auch bei den ausländischen Bestellern
viel Verdruß hervorgerufen. Späterhin ergab sich die Not-
wendigkeit, für die ausgeführten Waren im Wege der
Kompensation und des Austausches bestimmte andere,
von der deutschen Volkswirtschaft benötigte Waren ein-
zuführen, wodurch das Verfahren bei der Prüfung dieser
Ausfuhranträge noch verwickelter wurde. Eine Zeitlang
waren nicht weniger als sechs verschiedene Stellen zu be-
fragen, um so die Genehmigung für einen Auofuhrantrag
zu bekommen, und nicht immer arbeiteten diese Stellen
mit-, sehr häufig aber gegeneinander. Auch der berühmte
Reichskommissar für Ein-, Aus= und Durch-
fuhrbewilligung mit seinen Ausfuhrstellen hat an die-
sen Zuständen nicht viel geändert. Es ist gerade über diese
Organisation wohl am meisten geklagt worden.
Am frühesten, nämlich schon im Juni 1915, ist wohl
die gerade in Sachsen so stark ausgebreitete Textilin-
dustrie unter diese Kriegszwangswirtschaft gestellt wor-
den. Auf ihr lastete der Rohstoffmangel (Baumwolle,
Wolle, Flachs, Seide und andere Spinnstoffe) am schwer-
sten. Im Juni 1915 wurde das Herstellungsverbot für
Baumwollstoffe, anschließend daran das Spinnereiverbot,
erlassen, bztv. die Bekanntmachung betreffend Veräuße=
rung, Verarbeitung und Beschlagnahme von Baumwolle,
Baumwollabgänge und -Gespinsten, im August lols wurde
die Arbeitszeit in den Spinnereien, Webereien und Wir-
kereien beschränkt, am 1. April 1916 erging ein allgemeines
Spinn= und Webverbot. Dadurch wurden viele Hunderte
von Betrieben in Sachsen schwer getroffen. Arbei-
teten doch z. B. im Zwickauer Bezirk zwei Baumwollspinne-
reien im zweiten Vierteljahr 1916 nur noch mit 8—10%
ihrer Friedenserzeugung, und zwar ausschließlich für Heeres-
zwecke! Die Kammgarnspinnereien waren schon im Ok-
tober 19153 auf 1¼/1 ihrer Friedenverzeugung herunterge-
gangen bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit auf
30 Stunden. Abnlich ging es vielen anderen Tertilbetrieben,