Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Anlagen seitens gewisser Kriegsgesellschaften preußische 
Bezirke bevorzugt wurden. Die wesentlichsten sächsischen 
Fabriken einer landwirtschaftlichen Industrie konnten erst 
nach schweren Kämpfen die Wahrung ihrer Interessen 
gegen die preußische, speziell die Berliner Industrie, durch- 
setzen. Eine tiefgreifende Schädigung der sächsischen Inter- 
essen ging von einem Kriegsverband aus, in dessen Vor- 
stand die süddeutsche Industrie sich im starken Übergewicht 
befand. Ursprünglich waren die Bestimmungen des Ver- 
bandes derart, daß ein großer Teil der sächsischen Fabri- 
kanten überhaupt nicht eintreten konnte, später wurden sie 
zwar geändert, aber von der Anderung nur die engsten 
Kreise benachrichtigt. So wurden sächsische Fabrikanten 
wesentlich geschädigt. 
Die obenerwähnte ungleiche Zusammensetzung der Organe 
mancher Kriegsaktiengesellschaften hat ebenfalls sehr häufig 
Ungleichheiten in der Verteilung zur Folge. In Preußen 
waren zeitweise selbst die kleinsten Handwerker so über- 
lastet, daß sie ihrerseits Aufträge an Sachsen weitergeben 
mußten. Wo die sächsischen Firmen zur Konkurrenz zu- 
gezogen wurden, wurden sie von vornherein dadurch un- 
günstiger gestellt, daß man sie später als andere Firmen 
benachrichtigte. Andere Industrien sahen bei Einschränkung 
ihrer Produktionsstoffe diese nur noch an Preußen und 
lbberhaupt nicht mehr nach Sachsen übergeführt. 
Neben diesen sich mehr auf die Bundesstaaten erstreckenden 
Bevorzugungen und Ungleichheiten standen die für und 
gegen einzelne Firmen gerichteten. 
Wo bier überhaupt Verteilungsprinzipien zugrunde 
lagen, schwankte man zwischen der als Basis anzunehmenden 
Befähigung der Betriebe in letzter Friedens= oder späterer 
Kriegszeit. JZu Ungleichheiten führte die angeführte gene- 
relle Anordnung des Reichsamtes des Innern, die für Zu- 
teilungen in Frage kommenden Firmenlisten lediglich auf 
Grund unzulänglicher Adreßbücher oder persönlicher Be- 
nennungen aufzustellen; in gleicher Weise wirkten andere, 
die Mitgliedschaft unmöglich machende oder erschwerende 
Vorschriften. 
Das die Produktion oft zuungunsten des Erzeugers ver- 
teuernde Vermittlerunwesen trug, während es auf 
der einen Seite die Kapitalbildung in den Vermittlerkreisen 
außerordentlich förderte und diese in sehr vielen Fällen, 
mwie z. B. in der Militäreffektenindustrie, die Produktion 
selbst an sich reißen ließ, andererseits dazu bei, jene oben- 
genannten Fehler in der Verteilung wieder etwas aus- 
zugleichen, indem z. B. die Uberlastung mit Aufträgen 
in Preußen auf diese Weise zum Teil nach Sachsen abge- 
leitet wurde. Leider war aber auch das nur möglich, indem 
die durch diese Vermittler Herangezogenen einen Teil der 
Unkosten trugen und außerdem einen Teil ihrer Unabhängig- 
keit an diese verloren. 
Diese Mittelspersonen, die unkontrolliert und willkür- 
lich die Aufträge weitergeben, hatten zeitweise eine außer- 
ordentliche Macht über die industriellen Verhältnisse ge- 
wonnen, die um so bedenklicher war, als die Vermittler 
sich aus heterogensten, nichtsachverständigen Berufen zu- 
sammensetzen. Eine größere Militäreffektenfirma erhielt ihre 
Aufträge durch nicht weniger als §3 verschiedene Mittels- 
personen. Hierunter befanden sich Holzhändler, Wasser- 
leitungsgeschäfte Stahlgießereien, Automobilfabriken, eine 
große Zahl Lederfabrikanten, ein Bürgermeister a. D., die 
meisten gaben keinen Beruf an oder nannten sich schlecht- 
weg „Kaufmann“. Die Willkürlichkeit in der Verteilung 
bestand auch unter der Herrschaft der Kriegsgesellschaften 
vielfach noch fort. 
Die Kriegsgesellschaften haben sehr oft das besondere Übel 
des Vermittlerunwesens nicht zu beheben vermocht: die 
Verteuerung der Produktion. Diese Verteuerung 
wird zum Teil darauf zurückgeführt, daß die Kriegs- 
gesellschaften selbst zu hohe Gewinne erzielten, und zwar 
entweder direkt oder auf dem Umwege, daß sie von 
Firmen, die billige Nohstoffe zu erhalten in der Lage 
sind, die Herausgabe derselben an sich verlangen und den 
Firmen andere, teuere Nohsioffe überweisen und auf diese 
Weise sehr hohe Aufschläge, in einzelnen Fällen bis zu 
1300% zu ihren Gunsten erzielen. 
Eine Erschwerung bzw. Verteuerung der Produktion 
brachten auch die häufigen Fälle, in denen die behördlichen 
Verfügungen unnötige Transporte verursachen. So war 
es nichts Seltenes, daß man Dresdner Firmen mit ge- 
wissen Rohstoffen durch Stettin und Magdeburg, Süd- 
deutschland aber durch Dresdner Firmen versorgte. 
Was in diesen vorstehenden Zeilen dargestellt wird, ist 
nur ein kleiner Ausschnitt aus diesem großen Kapitel, 
aber es zeigt wohl genügend die Schwierigkeiten, welche 
die Industrie, eingeschlossen in die Zwangsorganisation der 
Kriegsgesellschaften, zu überwinden gehabt hat. Dem Han- 
del ist es ähnlich ergangen, seine Klagen über die Z.E.G., 
die berühmte Zentral-Einkaufsgesellschaft, sind 
ja noch in deutlicher Erinnerung. Wohl keine Kriegsgesell- 
schaft hat soviel Unwillen erregt wie diese Gesellschaft, 
welche lange Zeit mit dem alleinigen Ankauf der aus- 
ländischen Lebensmittel und mancher Bedarfsartikel für 
die Jivilbevölkerung beauftragt war. Angesichts der Ge- 
schäftstätigkeit dieser Gesellschaft entstand das geflügelte 
Wort, daß das, was England bisher nicht gelungen sei, 
Deutschland auszuhungern, von der Zentral-Einkaufsgesell- 
schaft erreicht werde. Die Gründung jener Gesellschaft fällt 
in jene Zeit, als in den neutralen Staaten die Ausfuhr- 
möglichkeit für Lebensmittel immer geringer wurde, infolge 
der Aufsicht der von England eingeführten Kontrollgesell- 
schaften bei den Neutralen für den Handel mit den Mittel- 
mächten. Sie sollte allein das in diesen Staaten verfüg- 
bare Quantum an Lebensmitteln ankaufen, erhielt die Voll- 
macht hierzu und schaltete damit den größten Teil des 
Handels überhaupt aus. 
Man kann jedoch heute ein endgültiges Urteil über das, 
was die Kriegsgesellschaften geleistet haben, noch nicht fällen; 
das wird erst möglich sein, wenn das gesamte Material 
über ihre Tätigkeit vorliegt und man einen Einblick erhält 
in das Getriebe, das vor der Offentlichkeit wegen der Ge- 
fahr des Verrates an das Ausland bisher geheimgehalten 
wurde. Die Gerechtigkeit gebietet, anzuerkennen, daß diese 
Gesellschaften eben doch nur ein Auzshilfsmittel waren: 
daß sie sich bemühten, in ihren Gebieten etwas Gutes 
zu leisten und auch geleistet haben, daß sie aber Aufgaben 
lösen mußten, die sich auf solchem bureaukratischen Wege 
eben nicht lösen lassen. Bei einer kürzeren Dauer des 
Krieges, für die die ganze Kriegsorganisation ja anfangs 
auch berechnet war, hätten sich die Ubelstände nicht in 
deim Umfange herausgestellt, die sich allmählich ergaben, 
und es hätte auch nie dieser Bureaukratismus so überhand 
nehmen können, wenn ein früheres Ende des Krieges die 
Bewegungsfreiheit wiederhergestellt hätte. Was im Beginn 
als eine Organisation zur Sicherstellung des Heeresbedarfes, 
des Bedarfec der Industrie und der Ernährung der Zidil- 
bevölkerung gedacht war, entwickelte sich in der langen 
Dauer des Krieges zu einem System vollständig staatlich 
organisierter Wirtschaft für ein 70-Millionen-Volk= das 
in den härtesten aller Kämpfe stand, die je die Welt 
gesehen hat. Je weiter diese Organisation sich ausdehnte, 
desto mehr verschwand die Übersicht und die Möglichkeit, 
der Natur der Dinge gemäß zu verfahren. Das Neben- 
einander, Durcheinander und Gegeneinander, das schließlich 
eintrat, war eine unvermeidbare Folge der Erstarrung, in 
welche das Wirtschaftsleben Deutschlands mit der immer sich 
verschärfenden Blockade geriet. Mag nun aber eine spätere 
genaue Darlegung der Wirkungsweise und der Erfolge der
	        
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