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Du wirst vielen Gefahren ausgesetzt sein; erhalte die Reinheit
Deines Herzens, sie wird Dich vor allen Dir drohenden Ge—
fahren schützen. Es ist ein Werk der Unmöglichkeit für Dich,
den Umgang mit jungen Männern zu meiden, welche das Leben
von einer ganz andern Seite betrachten als Du, deren frivole
Grundsätze, in schöne, witzige Worte, in ein glänzendes Gewand
gehüllt, so leicht in ein jugendliches, unbewachtes Herz sich ein-
schleichen. O, hüte Dich, solchen Worten Gehör zu geben, solchen
Grundsätzen zu huldigen; sie vergiften Deine Seele, vernichten
das Glück Deines Lebens, dessen Leitstern Tugend und Recht—
lichkeit für und für sein müssen. Du trittst ferner in eine Dir
neue Welt, in die Damenwelt. Du wirst so manche kennen
lernen, deren Aeußeres, dem eines Engels gleichend, Dich be—
zaubert, deren Worte Dich entzücken, die reinste Liebe athmen,
während sie die nichtswürdigste Dirne ist, in deren Armen auf
Dich nur Verderben lauert. Schwer, sehr schwer ist es, Wahr—
heit von Trug und Lüge, Wirklichkeit von dem Scheine zu
unterscheiden; oft ist die größte Niederträchtigkeit unter einem
länzenden Aeußern, hinter einer bewundernswerthen Gewandt-
zett und Sicherheit im Auftreten auf der Bühne des Lebens
versteckt; hinter dem offensten, klarsten Auge, hinter der unbe-
fangensten Miene lauern nicht selten Bosheit, Verderbtheit und
Tücke. Schließe Dich an Niemand fest an, so lange Du ihn
nicht genau kennst, am allerwenigsten an den, der sich Dir mit
besonderer Freundlichkeit nähert, der sich an Dich drängt. Vor
dem Theile des weiblichen Geschlechts, der sich einem feilen,
nichtswürdigen Geschäfte hingibt, brauche ich Dich nicht zu
warnen; zu fest sind Deine Grundsätze, zu sehr kennst Du die
Gefahren, welche aus solch' einem Umgang entstehen, den Körper
auf die ganze Lebenszeit zu vernichten, die Seele so tief, tief
erniedrigen können. Im Umgange mit dem bessern, edlern Theile
des zweiten Geschlechts mache es Dir zum Grundsatze, kein
Liebesverhältniß anzuknüpfen, so lange Du nicht an eine ernste
Verbindung denken kannst. Der Ruf und die Ehre eines Mäd-
chens sei Dir stets heilig; solltest Du je in Versuchung kommen,
so gedenke Deiner Schwester, die Du so innig liebst. Noch muß
ich einer gefahrdrohenden Klippe erwähnen: meide das Spiel!
Es gibt in der Stadt viele solcher verderblichen Höhlen; wer
sie betritt, der ist seinem Untergang nicht ferne. Denke bei
Allem, was Du thust, an Gott, an Deine Eltern, an Deine
Schwester! Du würdest nicht nur die Achtung und Liebe Deines
alten Vaters, Deiner Dich sehr liebenden Mutter und Schwester