§ 35. Der Amtsorganismus. 133
Verwaltung seines Ressorts „die Verantwortung“ trägt.
Hat der Minister die Majorität des Landtags auf seiner
Seite oder ist er selbst der Führer und Vertrauensmann
der herrschenden Partei, so ist er hinsichtlich seiner Ver-
antwortlichkeit gedeckt, und je rücksichtsloser er im Inter-
esse und nach den politischen Anschauungen seiner Partei
handelt, desto mehr ist sie mit ihm zufrieden. Dieser Miß-
stand wurde in Preußen durch das reaktionäre Ministerium
in den Jahren von 1852—1859, also kurz nach Einführung
der konstitutionellen Verfassung in schärfster Weise zum
allgemeinen Bewußtsein gebracht. Diese rücksichtslose Partei-
regierung entsprach dem konstitutionellen Ideal vollkommen,
da sie die überwiegende Mehrheit beider Häuser des Land-
tages auf ihrer Seite hatte. Um dieser üblen Folge des
Konstitutionalismus entgegenzuwirken, suchte man Schutz-
mittel gegen dieselbe. Dazu war an und für sich jede
Einrichtung geeignet, welche die Zuständigkeit und Macht-
befugnis des Ministers beschränkt. Die hierzu dienenden
Mittel sind sehr zahlreich und von sehr verschiedenem juri-
stischen Charakter. Da sie aber alle demselben politischen
Zwecke dienen, nämlich dem konstitutionellen Ministerabsolu-
tismus Schranken zu setzen und die Gefahr einer rück-
sichtslosen Parteiregierung und willkürlichen Gesetzesinter-
pretation zu verhüten, so hat man sie unter einen und den-
selben politischen Gesichtspunkt gebracht, sie zu einem
„System“ verknüpft. Dafür brauchte man auch einen einheit-
lichen Ausdruck, ein politisches Schlagwort. Unter dem
Einfluß von Gneist, der in der Reaktionsperiode der fünf-
ziger Jahre mit Energie und bahnbrechendem Erfolge die
Gefahren der konstitutionellen Parteiregierung und mini-
steriellen Allgewalt darlegte und durch seine Werke über
das englische Verfassungsrecht die Mittel zur Abhilfe zeigen
wollte, ist dafür der dem englischen Worte selfgovernement
nachgebildete Ausdruck „Selbstverwaltung“ üblich geworden.