210 VIII. Abschnitt. Die Verwaltung.
III. Die Unabhängigkeit der Gerichte. Wiewohl
nach dem Verfassungsrecht der Einzelstaaten der Monarch
Inhaber der Gerichtsbarkeit ist und die Rechtsprechung in
seinem Namen erfolgt („Im Namen des Königs!“ usw.,
beim Reichsgericht: „Im Namen des Reichs!“), sind die Ge—
richte doch völlig unabhängig und nur dem Gesetz unter-
worfen. Niemand kann ihnen Befehl geben, wie sie
Recht zu sprechen haben; sie sind selbst befugt, Verordnungen
des Monarchen und der Verwaltungsbehörden auf ihre Ge-
setzmäßigkeit zu prüfen und die ungesetzlichen als ungültig
zu behandeln. Zur Durchführung der Unabhängigkeit haben
die Gesetze den Richtern auch eine besondere rechtliche Stellung
gegeben.
Dagegen hat der Monarch das Recht, die Gerichte zu
besetzen und die Oberaufsicht über dieselben zu führen. Doch
ist er bezüglich der Besetzung der Gerichte an die gesetz-
lichen Bestimmungen über die Fähigkeit zum Richteramt
und dergl. gebunden; die Oberaufsicht, die in der Haupt-
sache durch das Justizministerium ausgeübt wird, beschränkt
sich auf das Recht, von den Gerichten Berichte über ihre
Tätigkeit einzufordern, eine Visitation derselben vorzunehmen
und Justizverzögerungen abzuhelfen.
IV. Die Begnadigung ist die Aufhebung oder die
Milderung einer von den Gerichten erkannten Strafe. Im
weiteren Sinn begreift das Wort Begnadigung auch die
Niederschlagung des Strafverfahrens (Aboli-
tion) vor erfolgter Verurteilung in sich; mit Amnestie
bezeichnet man die gleichzeitige Begnadigung einer ganzen
Klasse von Personen. Das Begnadigungsrecht gebührt dem
Monarchen, in den freien Städten dem Senat, bei Urteilen
des Reichsgerichts, der elsaß-lothringischen Gerichte, der Kon-
sular= und der Schutzgebietsgerichte dem Kaiser. Durch
einige Verfassungen sind dem Begnadigungsrecht Schranken
gezogen worden.