34 II. Abschnitt. Reich und Einzelstaaten.
Einzelstaaten die Gesetzgebung selbst aus, und zwar haben sie
die Befugnis hiezu nicht vom Reiche bekommen,; sie hatten sie
vielmehr schon vor der Gründung des Reiches, sie üben
dieselbe kraft eigenen Rechts, wie man sagt. Allein
das Reich hat nach der Reichsverfassung (Art. 78) das Recht,
seine Zuständigkeit zu erweitern (es hat, wie man auch
sagt, die Kompetenz-Kompetenz, d. h. es ist befugt, die
Grenzen seiner Zuständigkeit selbst zu bestimmen), so daß
der Kreis der den Einzelstaaten zur Erfüllung kraft eigenen
Rechts verbliebenen Aufgaben vom Reiche bestimmt wird.
3. Die Reichsgesetze gehen den Landesge—
setzen vor. (Art. 2 der Reichsverfassung.) Gerade hieraus
ergibt sich mit besonderer Deutlichkeit die Souveränetät des
Reichs und die Nichtsouveränetät der Einzelstaaten.
4. Die Bundesstaaten sind dem Reiche zum
Gehorsam verpflichtet. Die Einzelstaaten, nicht bloß
die einzelnen Untertanen, müssen die Reichsgesetze befolgen.
Die Erfüllung dieser Gehorsamspflicht ist dadurch gesichert,
daß dem Kaiser, als dem Organ des Reichs, die Über-
wachung der Ausführung der Reichsgesetze zusteht (Reichsver-
fassung, Artikel 17). Die Verletzung der Gehorsamspflicht
seitens eines Bundesstaates kann dazu führen, daß es
vom Reiche zwangsweise zur Erfüllung seiner verfassungs-
mäßigen Bundespflichten angehalten wird. Nach Art. 19
der Reichsverfassung ist die Exekution (d. h. die Erzwingung)
vom Bundesrat zu beschließen und vom Kaiser zu voll-
strecken.
II. Der Souverän des Reichs. Fürst Bismarck sagte
einmal im Reichstag (1871): „Die Souveränetät ruht nicht
beim Kaiser, sie ruht bei der Gesamtheit der verbündeten
Regierungen.“ Um dieses Wort verständlich zu machen,
müssen wir uns die Ausführungen in 82, III ins Gedächtnis
zurückrufen. Unter Reichsgewalt verstehen wir die Staats-
gewalt des Reichs. Die Reichsgewalt steht dem Reiche selbst