29. Juni | 59
29. JUNI
Der Legationsrat der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft
in Belgrad, Ritter von Storck, an den österreichisch-unga-
rischen Minister des Aeusseren, Graf Berchtold.
Rotbuch Nr.]l.
Belgrad.
Wir alle stehen noch immer derart unter dem erschüttern-
den Eindruck der gestrigen Katastrophe, dass es mir schwer
fällt, mit der nötigen Fassung, Sachlichkeit und Ruhe das
blutige Drama in Seraiewo von hier aus entsprechend zu be-
urteilen. Ich bitte daher, mich vorläufig auf die Registrierung
einiger Tatsachen beschränken zu dürfen.
Gestern — den 15./28. — wurde der Jahrestag der
Schlacht auf dem Amselfelde festlicher als sonst begangen
und der serbische Patriot Milos Obilic gefeiert, der ınit zwei
Gefährten den siegreichen Murad meuchlings erstochen hat.
Wo Serben leben, gilt Obilic als der Nationalheros. An
die Stelle der Türken sind aber -- dank der unter der
Aegyde der königlichen Regierung gezüch-
ieten Propoganda und der seit Jahren betriebenen
Presshetze — nunmehr wir als die Erbfeinde getreten.
Den drei jugendlichen Serajewoer Attentätern Princip,
Cabrinovic und dem dritten unbekannten Bombenwerfer
scheint daher eine Wiederholung des Dramas auf dem Kosso-
Rb.Nr. 1. ') Am 28. Juni wurden der Erzherzog-Thronfolger Franz-
Ferdinand und seine Gemahlin, die Herzogin von Hohenberg, in Sera-
jewo von dem bosnischen grosserbischen Verschwörer Gabriel Prin-
cip erschossen, nachdem ein Komplize Princips, Cabrinovic, kurz vorher
ein erfolgloses Bombenattentat begangen hatte. |
Die Mordtat
von Serajewo
wird in Serbien
mit Genugtu-
ung aufgenom-
nen.