Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

22. Juli 83 
  
  
Der französische Botschafter in Wien, Dumaine, an den stell- 
  
vertretenden französischen Minister des Aeusseren, 
  
Bienvenu-Martin. 
Gelbbuch Nr. 18. 
  
Wien. 
Man weiss noch nichts von den Entschliessungen, die 
Graf Berchtold, der seinen Aufenthalt in Ischl veriängert, vorn 
Kaiser zu erlangen sırcht. Man glaubt, dass die Regierung beab- 
sichtigt, mit der grössten Strenge gegen Serbien vorzugehen, 
ein Ende mit ihm zu machen, «es wie ein zweites Polen zu 
behandeln ». Acht Armeekorps wären bereit, ins Feld zu 
rücken, aber Herr Tisza, den die Agitation in Kroatien sehr 
beunruhigt, soll in mässigendem Sinne tätig interveniert 
haben.') 
Auf jeden Fall glaubt man, dass der Schritt in Belgrad 
in dieser Woche stattfinden wird. Die österreichisch-ungari- 
schen Forderungen, die sich auf die Unterdrückung des Atten- 
tates und gewisse Garantien hinsichtlich der Polizei und der 
Ueberwachung beziehen, scheinen für die Würde der Ser- 
ben annehmbar; Herr Jowanowitsch glaubt, dass sie 
angenommen werden. Herr Paschitch wünscht eine friedliche 
Regelung, erklärt aber, dass er zuiedem Widerstande 
bereitist. Er vertraut in die Stärke der serbischen Armee; 
er rechnet ausserdem mit der Vereinigungaller Sla- 
ven der Monarchie, um die gegen sein Land gerich- 
teten Anstrengungen zu lähmen. 
Wenn man nicht vollständig verblendet ist, müsste man 
hier erkennen, dass ein Gewaltstreich der grössten Wahr- 
scheinlichkeit nach, sowiohl für die Österreichisch-ungarischen 
Truppen als auch für die bereits gefährdete Kohesion der vom 
Kaiser beherrschten Nationalitäten verhänznisvoll sein 
Nuss. 
Der deutsche Botschafter, Herr von Tschirsky, gibt sich 
als Anhänger gewalttätiger Entschlüsse, wenn er auch gerne 
verstehen lässt, dass die kaiserliche Kanzlei mit ihm über 
diesen Punkt nicht völlig übereinstimmt.’) Der russische Bot- 
G1b.Nr. 18.'!) Graf Tisza wurde am 22. Juli abermals im ungarischen 
Abgeordnetenhause interpelliert. Er erklärte, es sei nicht im Interesse 
des Landes, die Frage der österreichisch-serbischen Beziehungen zu 
diskutieren, und sprach im weiteren Verlaufe der Debatte die Ueber- 
zeugung aus, dass im Falle ernster Ereignisse alle Ungarn für das 
Vaterland eintreten würden. 
*®) Vergl. serb. Bib. Nr. 24. 
Paschitch und 
der französi- 
sche Botschaf- 
ter in Wien 
rechnen mit 
dem Zerfall 
Oesterreich- 
Ungarns.
	        
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