Die Ministerverantwortlichkeit in Bayern. 45
oder von den zeitlichen Stellvertretern gegenzeichnen zu lassen, in deren Geschäfts-
kreis die Sache einschlägt.
Ohne fsolche Gegenzeichnung sind die besagten Anordnungen nicht voll-
ziehbar.
Derjenige Staatsbeamte, welcher den Vollzug einer ohne ministerielle Gegen-
zeichnung ergangenen Regierungsanordnung des Königs auf sich nimmt, macht
sich des Mißbrauches der Amtsgewalt schuldig. «
Jeder Staatsminister und Jeder, welcher vorübergehend mit der Leitung
eines Staatsministeriums betraut ist, übernimmt durch die Gegenzeichnung könig-
licher Entschließungen, sowie durch die Unterzeichnung der in eigener Kompetenz
getroffenen Ministerialverfügungen, die volle Verantwortlichkeit für deren
Inhalt.
Hält der Vorstand eines Staatsministeriums eine ihm angesonnene Amts-
handlung für gesetzwidrig, oder dem Landeswohl nachtheilig, so ist er verpflichtet,
dieselbe abzulehnen, beziehungsweise seine Gegenzeichnung unter schriftlicher An-
gabe der Gründe zu verweigern.
Er ist berechtigt, seine Gründe dem Ministerrath darzulegen, dessen Protokoll
dem Könige vorzulegen ist. Jedem wirklichen oder abgetretenen Staatsminister
oder Verweser eines Staatsministeriums dürfen die amtlichen Behelfe zur Rechen-
schaftsablage über seine Amtsverwaltung nicht vorenthalten werden, wenn er
derselben zu seiner Rechtfertigung von dem Könige oder den Ständen des Reichs
bedarf.
Ein Staatsminister oder dessen Stellvertreter, der durch Handlungen oder
Unterlassungen die Staatsgesetze verletzt, ist den Ständen des Reichs verantwort-
lich und kann auf deren Anklage mit Rücksicht auf den Grad des Verschuldens
und auf den Erfolg der Pflichtverletzung:
1. mit einfacher Entfernung vom Dienste unter Belassung des ihm nach
§. 19. der Verfassungs-Beilage IX. gebührenden Ruhegehaltes,
2. mit Dienst-Entlassung ohne Ruhegehalt, oder
3. mit Dienst-Entlassung — Kassation — bestraft werden.
Erachten die Stände des Reiches die Voraussetzungen des Art. 9. für gege-
ben und demnach durch ihre Pflicht sich aufgefordert, gegen einen Minister oder
Minister-Stellvertreter förmliche Anklage zu erheben, so hat der König, nachdem
das durch Titel X §. 6. Absatz l. und II. der Verfassungsurkunde vorgeschriebene
Verfahren stattgefunden hat, den Angeklagten vorläufig zu suspendiren, und die
erhobene Anklage durch einen hierzu besonders zusammen zu berufenden Staats-
gerichtshof unverzüglich zur Entscheidung bringen zu lassen.
Die Bestimmungen des §. 16. der IX. Verfassungs-Beilage bleiben hierbei
außer Anwendung.
Die Verhandlungen des Staatsgerichtshofes sind mündlich und öffentlich.
Die Einreichung und Vertretung der Anklage geschieht durch Bevollmächtigte
der Stände des Reichs, welche jede Kammer durch absolute Stimmenmehrheit zu
wählen hat.