Full text: Die Ministerverantwortlichkeit und der Staatsgerichtshof im Königreich Sachsen.

2 Die Ministerverantwortlichkeit in Sachsen. 
alle politischen Systemfragen in seiner Hand ausschließlich vereinigt, ohne eigene 
Verantwortlichkeit und ganz selbstständig, daß er aber die Ausführung dieser Maß- 
regeln seinen Beamten, insbesondere seinen Ministern überträgt. Diese ver— 
walten den Staat und sind dem Volke und dessen Vertretung für diese Hand— 
lungen verantwortlich. Finden sie also dieselben mit der Verfassung nicht ver— 
einbar, so haben sie dem Fürsten Vorstellung dagegen zu machen und ihre Contra- 
signatur bei Genehmigung der Erlasse des Fürsten zu verweigern. Besteht 
aber der Souverain dennoch darauf, so müssen sie abtreten und ihr Amt nieder- 
legen. Im Königreich Sachsen existirt kein spezielles Gesetz über Ministerverant- 
wortlichkeit. Alles, was sich darauf bezieht, ist in §. 141. der Verfassungsurkunde 
enthalten, der von Verletzung der Verfassung durch die Minister spricht. Was 
aber Alles unter diesen Begriff zu bringen sei, davon ist nirgends die Rede Ist 
es auch schwer, ein solches Gesetz zu spezialisiren, so muß doch die Form gefunden 
werden und es sind auch in einzelnen Staaten, wie z. B in Oesterreich, ganz 
neuerdings auch in Württemberg und in Griechenland") besondere Gesetze über 
Ministerverantwortlichkeit promulgirt worden. Gleichwohl betrachtet man, wie 
Robert von Mohl sich ausdrückt, ein spezielles Gesetz über die Verantwort- 
lichkeit der Minister als den Schlußstein des konstitutionellen Staatsgebäudes. 
Daß bei ausgezeichneten, wohlwollenden und gerechten Fürsten, wenn sie eben 
so tüchtige, redliche und geschickte Berather der Krone erwählen, auch ohne ein 
solches spezielles Gesetz auszukommen sei, davon giebt das Königreich Sachsen ein 
glänzendes Beispiel, das im Verlaufe von 46 Jahren der Hülfe des Staatsge- 
richtshofs nicht bedurft hat, indem eine Ministeranklage nicht vorgekommen. 
Sachsen bewährt den oben angeführten Spruch Pope's: „Ueber die Formen 
des Staates laßt Thoren streiten, der am besten verwaltete ist der beste“ und auch 
der bekannte englische Spruch: „Männer nicht Maßregeln“ ist in unserem Vater- 
lande zur praktischen Geltung gelangt. Es kommt mehr darauf an, tüchtige, 
redliche Männer an die Spitze der Staatsverwaltung zu stellen, als an den Ver- 
fassungen und Einrichtungen immerfort zu ändern und zu bessern zu suchen. 
Während Sachsen, wie bemerkt, eines speziellen Gesetzes über Ministerverantwort- 
lichkeit entbehrt, fehlt es nicht an einer Behörde zum Schutze der Verfassung, dem 
Staatsgerichtshof (Vergl. §. 142. ff. der Verfassungsurkunde) und einem Gesetze, 
welches das Verfahren bei demselben regelt. Es ist dies das Gesetz vom 3. Fe- 
bruar 1838, Gesetz= und Verordnungsblatt desselben Jahres S. 50 ff. 
Gerade in neuerer Zeit, seitdem das deutsche Reich errichtet worden, kann 
die Frage nach der Verantwortlichkeit der Minister wieder in den Vordergrund 
treten. Es ist oft sehr schwierig zu beurtheilen, ob eine vom Reiche ausgehende 
Maßregel mit den Bestimmungen der Verfassung des einzelnen Reichslandes ver- 
einbar ist und ihr daher, ohne die letzteren zu verletzen, von der Regierung zu- 
  
*) In Dänemark beschloß das Volkothing ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz der frei- 
sinnigsten Art. Das Landsthing verweigerte aber am 2. März 1876 mit 32 gegen 9 Stimmen 
den Uebergang der Gesetzesvorlage zur zweiten Berathung.
	        
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