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teils seiner dienstlichen Stellung, teils der undankbaren Aufgabe zuzuschreiben
ist, welche ihm bei der Vertretung des Reichs-Zivilehegesetzes zufiel. — Der
militärische Bevollmächtigte, Generalmajor v. Voigts-Rheetz, hatte bei der Land-
sturmdebatte Gelegenheit, seine große Sprechergabe zu entwickeln. Bei dem
interessanten § 37 des Zivilehegesetzes aber, welcher dahin modifizirt wurde,
daß die Rechtsgiltigkeit auch solcher Ehen feststeht, die im Widerspruch mit dienst-
lichen Vorschriften geschlossen werden, erhob sich vom Bundesratstische merk-
würdigerweise keine Stimme zur Wahrung des Entwurfs. Es fehlten nämlich
die Herren Militärbevollmächtigten. Nachträglich scheinen sie diese Versäumnis
bereut zu haben, denn sie erschienen nun auch bei solchen Teilen der Zivilehe-
verhandlungen, welche zu den Dienstverhältnissen des Heeres keinerlei Beziehung
haben. — Wenn, um auf Fäustle zurückzukommen, dieser Gelegenheit ergriff,
als guter Stratege unter den Fittichen des Reichsadlers seine bayerischen Fehden
auszufechten, so scheint bei seinen württembergischen und sächsischen Kollegen
ein ähnlicher Wunsch nicht vorzuliegen; sie glänzten durch Aowesenheit. Sachsen
war allerdings im Bundesrate gegen das Zivilehegesetz; in Württemberg beruht
aber die Zustimmung zu demselben auf einem Kompromiß der nationalen mit
der kirchlich-orthodoxen Partei; außerdem sind die schwäbischen Katholiken in
leidlichem Einvernehmen mit ihrer Regierung. So ließ denn der Minister
v. Mittnacht um des häuslichen Friedens willen die Zivilehefrage ein noli me
tangere sein, vertrauend, daß der bayerische Nachbar freundschaftlichst dieselbe für
ganz Süddeutschland durchdrücken helfen werde. Schließlich sei noch bemerkt,
daß der neue preußische Minister Dr. Friedenthal durch seine Reden als Reichs-
tagsabgeordneter zeigte, welche gute Acquisition er für den Bundesratstisch wäre,
wenn er dorthin berufen würde.
Gewerbegerichte. Bestrafung des Kontraktbruchs. In der
Sitzung des Bundesrats vom 6. Januar 1874 brachte der Staatsminister Delbrück
den in der vorhergehenden Session nicht zur Verabschiedung gelangten Gesetz-
entwurf wegen Abänderung einzelner Bestimmungen der Gewerbeordnung 4) aufs
neue ein.
Nach dem vorjährigen Entwurf sollten bekanntlich Streitigkeiten der selb-
ständigen Gewerbetreibenden mit ihren Gesellen oder Gehülfen oder Lehrlingen,
da wo besondere Behörden für diese Angelegenheiten bestehen, bei diesen, im
übrigen durch die Gemeindebehörde oder durch eine auf Anordnung der höheren
Verwaltungsbehörde gebildete Deputation der Gemeindebehörde entschieden werden.
An Stelle der vorbezeichneten Behörden wahrte der Entwurf den Zentralbehörden
auch die Befugnis, Gewerbegerichte nach Maßgabe des Gesetzes zu errichten. Da
1) ef. Bd. II. S. 344 f. Ueber die Punkte, worin sich der Entwurf von dem der
vorigen Session unterschied, vgl. die „Nat.-Ztg.“ Nr. 55 v. 3. 2. 74. Vgl. auch den
Leitartikel: „Die Novelle zur Gewerbeordnung“ in Nr. 121 v. 13. 3. 74.