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Enquéẽte über die Verhältnisse der Gewerbe- und Fabrik—
arbeiter. Der hierauf zielende, in der Bundesratssitzung vom 4. Februar
1875 gestellte Antrag Bismarcks ging davon aus, daß das Material,
welches die Reichsregierung nach der erfolglos gebliebenen Vorlegung des Ge-
setzes über gewerbliche Schiedsgerichte und Bestrafung des Kontraktbruchs von
den Bundesregierungen über die von ihnen gemachten Erfahrungen auf dem
einschlägigen Gebiet erbeten hatte, nicht ausreichte, um die bis dahin mangel-
hafte Unterlage für die Gesetzgebung zu ergänzen. Es wurde hervorgehoben,
daß „— großenteils zufolge der im Reichstag und in der Presse an den
Gesetzentwurf geknüpften Erörterungen — in den gewerblichen Kreisen eine
Bewegung hervorgetreten, welche über die Grenzen des Entwurfs hinaus die
Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Gegenstand
vielseitiger Kritik und zahlreicher Wünsche gemacht hat. Nach der Ansicht des
Reichskanzler-Amts wird sich der Bundesrat einer ernsten Würdigung dieser
Meinungsäußerung nicht entziehen können, bevor er sich über die endgiltige
Erledigung der immer noch schwebenden legislativen Frage schlüssig macht."“
„Die vermißten Unterlagen“, heißt es an einer anderen Stelle, „werden sich
nicht füglich anders als mittelst persönlicher Vernehmung zahlreicher Gewerbe-
treibenden auf Grund eines einheitlichen Programms durch damit zu betrauende
Beamte gewinnen lassen. Nur so werden die Ermittelungen Objektivität und
Sachkunde vereinigen können.“ Demgemäß richtete der Reichskanzler an den
Bundesrat den Antrag, daß über eine Reihe in einem Programm zusammen-
gestellter Fragen eine Enquêète veranstaltet werde, und zwar durch mündliche
Vernehmung einer größeren Anzahl mit den Verhältnissen des Gewerbewesens
praktisch vertrauter, vorzugsweise aus dem Stand der Arbeitgeber (Fabrikbesitzer
und Meister) sowie der Arbeitnehmer (Fabrikarbeiter und Gesellen), unter Be-
rücksichtigung der verschiedenen, in dem gewerblichen Leben vertretenen Richtungen
auszuwählender Männer; daß ferner die Vernehmung unter Leitung des damit
beauftragten Beamten in einzelnen gewerbfleißigen Orten — durch welche,
was Preußen, Bayern, Königreich Sachsen, Württemberg, Baden und Hessen
betrifft, sämtliche größere Verwaltungsbezirke vertreten erscheinen — stattfinden
sollen; daß sodann die Antworten der Sachverständigen, unter Angabe des
Berufs der letzteren, bei Gewerbetreibenden besonders des Standes (Fabrik-
besitzer, Fabrikarbeiter, Meister, Geselle) und des Gewerbes, in kurzen Proto-
kollen niedergelegt und die Protokolle dem Reichskanzler-Amt eingesendet werden
sollen. Das Programm ging von drei Vorbemerkungen aus: „1. Es handelt
sich in der Untersuchung nur um Anschauungen und Wünsche, die in praktischer
Erfahrung gewonnen sind; deshalb ist darauf hinzuwirken, daß alle Antworten
an die konkreten Lebensverhältnisse, in welchen die Gefragten stehen, sich
möglichst anschließen. 2. Auf Abänderung des bestehenden Rechts gerichtete
Wünsche sind, um unklare und undurchführbare Vorschläge fernzuhalten, eingehend