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Abänderung jener unzuträglichen Bestimmungen schon jetzt einzutreten. Nach den
in Preußen gemachten Erfahrungen gehören hierher an erster Stelle diejenigen
Paragraphen des Strafgesetzbuchs, welche den Antrag der beteiligten Privat-
person zur Vorbedingung der strafrechtlichen Verfolgung machen. Insbesondere
hat die Bestimmung im § 64, nach welcher der von dem Privatbeteiligten ge-
stellte Strafantrag auch nach Erhebung der Anklage, ja bis zum Augenblick
der Urteilsverkündigung, zurückgenommen werden darf, zu großen Unzuträglich-
keiten geführt. Denn sie hat vielfach veranlaßt, daß zwischen dem Verbrecher
und dem durch das Verbrechen Verletzten ein Handel über den Abkauf der
Strafe gepflogen wird, eine Prozedur, die dem Rechte geradezu Hohn spricht
und darum dem Rechtsbewußtsein des Volkes zu gerechtem Anstoß gereicht.
Ferner sind die Vorschriften über die Strafzumessung bei Körperverletzungen
ungeeignet erschienen, indem behauptet wird, daß die ersteren, insbesondere bei
Raufhändeln, der erforderlichen Energie entbehren und die Strafen deshalb zu
schärfen seien. Sodann wird die Bestimmung über den Diebstahl gegen Per-
sonen, in deren Kost und Lohn der Dieb sich befindet, als eine das Verhältnis
zwischen Herrschaften und Dienstboten schädigende bezeichnet; und der im § 55
festgesetzte Beginn der Strafmündigkeit erst mit Vollendung des 12. Lebens-
jahres wird aus dem Grunde bemängelt, weil dies Verhältnis von gewissen-
losen Eltern vielfach dazu ausgebeutet werde, ihre Kinder unter zwölf Jahren
zu Vergehen, namentlich zu Holzdiebstählen und Feldfreveln zu benutzen.
Gestützt auf diese Momente, stellte die preußische Regierung den Antrag,
eine Revision beziehungsweise Abänderung des deutschen Strafgesetzbuchs in den
hierzu Anlaß bietenden Bestimmungen herbeizuführen. Sie betrachtete indes den
Kreis der letzteren mit den angeführten Beispielen nicht als abgeschlossen, be-
zeichnete vielmehr diese Beispiele nur als die hauptsächlichsten unter den einer
Abhilfe bedürftigen Punkten und setzte außerdem voraus, daß sämtliche Bundes-
regierungen in der Lage sein würden, Beiträge für das in Angriff zu nehmende
Revisionswerk zu liefern. Indem sie sich vorbehielt, ihre Abänderungs= und
Ergänzungsvorschläge aus praktischen, der preußischen Jurisprudenz entnommenen
Rechtsfällen zu belegen und zu begründen, beantragte sie, daß sämtliche Bundes-
regierungen ersucht werden möchten, darüber, ob und eventuell bei welchen Para-
graphen sie eine Revision des Strafgesetzbuchs für angezeigt erachten, sich zu
äußern und ihre entsprechenden Anträge dem Reichskanzler-Amt mitzuteilen.
Was endlich die bei der Revision anzuwendende Methode betrifft, so empfahl
die preußische Regierung, nach dem bei der Revision des preußischen Straf-
gesetzbuchs im Jahre 1856 bewährten Vorgange, die zu beantragenden Ab-
änderungen an die betreffenden Paragraphen des Gesetzbuchs derartig anzu-
schließen, daß das verbesserte Werk sich schließlich von dem bestehenden Gesetz
weder in dem System, der Oekonomie noch auch in der Zahl der Paragraphen
unterscheide.