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seit dem Jahre 1870 wiederholte Petitionen teils für, teils gegen die Anwen-
dung dieses Schutzmittels an den Reichstag gelangt. Nachdem der Reichstag
anfänglich sich darauf beschränkt hatte, die Sammlung statistischer Erhebungen
über den Einfluß der Einimpfung der Schutzpocken auf die Verbreitung und
Gefährlichkeit der Menschenblattern sowie auf die Gesundheit der Geimpften zu
empfehlen, faßte er, in Erledigung erneuter und dringlicher Anträge, in der
Sitzung vom 23. April 1873 den Beschluß, den Reichskanzler zu ersuchen:
für die baldige einheitliche gesetzliche Regelung des Impfwesens für das Deutsche
Reich auf Grundlage des Vaccinations= und Revaccinationszwanges Sorge zu
tragen. In Erfüllung dieses Wunsches war, wie aus der früheren Darstellung
(Bd. II S. 358) erinnerlich, dem Bundesrat von seiten des Reichskanzlers ein
Gesetzentwurf über den Impfzwang vorgelegt worden.
Zu diesem Entwurfe beantragte der Bundesratsausschuß für Handel und
Verkehr neben einigen redaktionellen doch auch einige prinzipielle Abänderungen;
hierzu gehörte folgende Bestimmung: „Die Impfstellen müssen alljährlich in der
Zeit von Anfang Mai bis Ende September mindestens drei Monate lang an
bestimmten Tagen und Stunden geöffnet sein. Die Zeit, in welcher sie offen
sind, ist alljährlich dreimal und zwar einmal vor und zweimal nach der
Eröffnung bekannt zu machen. Ferner sollen Schulvorsteher, welche den ihnen
durch das Gesetz auferlegten Verpflichtungen zur Kontrolle der vollzogenen
Impfung an Schülern 2c. nicht nachkommen, mit Geldstrafe bis zu 100 Mark
Reichsmünze oder mit Haft bis zu acht Tagen bestraft werden."“
Impfgesetz vom 8. April 1874 (Reichs-Gesetzbl. S. 31). )
Herstellung einer medizinischen Statistik.)) Laut Beschluß
des Bundesrats waren zum Zweck der Vorbereitung einer Medizinalstatistik die
Bundesregierungen zu einer Aeußerung darüber veranlaßt worden, 1. welche
Einrichtungen behufs Herstellung einer solchen Statistik in ihren Gebieten bestehen,
2. in welchem Umfange diese Statistik, die das gemeinsame Interesse der Bundes-
staaten als Ziel vor Augen habe, anzustreben sei, und 3. inwieweit von den
einzelnen Regierungen zur Beschaffung des Materials für eine solche Statistik
mitgewirkt werden könne. Die erbetenen Aeußerungen wurden dem Ausschuß
für Handel und Verkehr zur Berichterstattung überwiesen. Dieser Ausschuß
faßte den wesentlichen Inhalt der ihm zugewiesenen Mitteilungen in einem
Bericht 3) an den Bundesrat zusammen und schloß sein Resumé mit der
1) Mitteilungen für den Bundesrat, betreffend die Bestimmungen über Zwangs-
impfungen bei dem Ausbruch einer Epidemie, s. „Nat.-Ztg.“ Nr. 533 v. 15. 11. 74. Aus-
führungsbestimmungen des Bundesrats zum Impfgesetz Nr. 469 v. 9. 11. 74. Beschluß
des Bundesrats, betreffend die Errichtung von Impfinstituten Nr. 44 v. 22. 2. 75.
2) Vgl. Bd. II. S. 358.
3) Notizen daraus in der „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 73 v. 27. 3. 74.