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dem Reiche im Art. 45 der Reichsverfassung überwiesene Kontrolle der Eisen—
bahntarife ersuchte das Reichs-Eisenbahn-Amt auf meine Veranlassung die Königlich
württembergische und die Großherzoglich badische Regierung um Aeußerung über
die teils ausgeführten, teils beabsichtigten Tarifmaßregeln; eine Antwort auf
dieses Ersuchen ist seitens der ersteren unter dem 20. Januar d. J., seitens der
letzteren aber bisher überhaupt nicht erteilt worden. Ich glaube mich der
Zustimmung der hohen Bundesregierungen darüber versichert halten zu dürfen,
daß eine allgemeine Tariferhöhung nicht durch eine vorübergehende Verminderung
der Betriebsergebnisse, sondern nur durch eine dauernde und erhebliche, in der
Verkehrssteigerung nicht genügenden Ersatz findende Erhöhung der Betriebs-
ausgaben motivirt werden kann. Demgemäß habe ich das Reichs-Eisenbahn-Amt
veranlaßt, die Betriebsergebnisse für 1873 und das Maß der einzelnen Aus-
gabefaktoren zu ermitteln, gleichzeitig aber wegen einer mit Einführung des
Markpfennigs unvermeidlichen Reform der Tarife unter verfassungsmäßiger
Berücksichtigung solcher Transportartikel, welche erste und unentbehrliche Lebens-
bedürfnisse sind, einzuleiten und nach dem Ergebnis eine Vorlage für den
Bundesrat vorzubereiten."“
Das Schreiben schloß mit dem Antrage, die Tarifreform selbst bis zum
Erscheinen der gedachten Vorlage zu vertagen. i)
Der Bundesrat beschloß, den Anträgen des Eisenbahnausschusses entsprechend,
unter Zustimmung Bayerns, Württembergs und Badens die Bundesregierungen
einzuladen, die Beschlußfassung über die allgemeine Erhöhung des Eisenbahn-
gütertarifs oder über entsprechende Aenderungen des Tarifsystems bis zum
15. Mai auszusetzen.
In einer an den Bundesrat gerichteten ferneren Vorlage vom 5. Mai 18742)
erklärte der Reichskanzler, daß er, mit Rücksicht auf das im Reichs-Eisenbahn-
Amt festgestellte Ergebnis der Betriebseinnahmen der Eisenbahnen während des
vorigen Jahres, im Hinblick ferner auf die prekäre Lage des Privateisenbahn-
baues glaube, seine bisher gegen die allgemeine Tariferhöhung im öffentlichen
Interesse gehegten Bedenken nicht weiter festhalten zu sollen, und er gab daher
dem Bundesrat anheim, zu beschließen: „daß vom Standpunkte des Reichs
aus gegen eine mäßige, im Durchschnitt den Betrag von 20 Prozent jedenfalls
1) Später legte Bismarck dem Bundesrat noch das Antwortschreiben des badischen
Staatsministeriums vor, welches sich, wie das der württembergischen Regierung, für die
Notwendigkeit einer Tariferhöhung aussprach.
2) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt. Vgl. über die Eisenbahntarifreform-
Vorlage und die sie begleitende Denkschrift noch die „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 109 v. 12. 5.74,
u. Nr. 114 v. 19. 5. 74, „Nat.-Ztg.“ Nr. 216 v. 11. 5. 74, Nr. 222 v. 15. 5. 74,
Nr. 231 v. 21. 5. 74, Nr. 237 v. 24. 5. 74 (Nachtrag des Reichskanzlers zur Tarifvorlage)
u. Nr. 245 v. 30. 5. 74.