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der Kanzler: „Das Kanzleramt geht mir aus den Händen. Delbrück wächst
mir über den Kopf.“
2. Auch über die letzten Ziele der Steuerpolitik bestand zwischen Bismarck
und Delbrück keine Einigkeit. Letzterer plädirte zwar gleichfalls für die Be—
willigung neuer indirekter Steuern, jedoch lange nicht mit derselben Ueberzeugungs-
treue und Energie, wie etwa für die freisinnige Handespolitik. So eilte zum
Beispiel die Abschaffung der Salzsteuer Delbrück weit mehr als seinem Chef,
und es fehlte nicht viel, daß die Meinungsverschiedenheit der Staatsmänner
hierüber in offener Reichstagssitzung zu Tage trat (man vergleiche die Erklärungen
des Reichskanzlers und des Präsidenten des Reichskanzler-Amts in der Sitzung
des Reichstags vom 1. Mai 1872).
3. Auf sozialpolitischem und gewerblichem Gebiete wüßten wir
nicht, daß es zu Auseinandersetzungen unter den beiden Staatsmännern über die
damals schwebenden Fragen gekommen sei. Bismarck ieß auf diesen Gebieten Delbrück
noch größere Freiheit als auf den bisher erwähnten. Infolge davon war die
ganze damalige Sozialgesetzgebung von liberalem Geiste getragen.
Bismarck trat auf sozialpolitischem Gebiete zu Zeiten Delbrücks äußerlich
fast gar nicht hervor. Nur dreimal griff er in die Sache ein: zuerst im Sep-
tember 1871, als er in Gastein gemeinschaftlich mit Beust Maßregeln zur
Bekämpfung der sozialen Uebel in Beratung zog, sodann im Oktober des darauf-
folgenden Jahres, als er seinen ehemaligen Vertrauten, den Geheimen Rat
Wagener als Kommissar nach dem Kongreß der sogenannten Kathedersozialisten
in Eisenach entsandte, endlich im Jahre 1873 durch Bethätigung lebhaften In-
teresses an den damaligen Regierungsberatungen über die ländliche Arbeiterfrage.
4. Eine Meinungsverschiedenheit bestand zwischen Bismarck und Delbrück
auch hinsichtlich des Reichseisenbahnprojekts. Näheres darüber erfahren wir
aus den „Erinnerungen von Hans Viktor v. Unruh“, welcher über diesen Punkt
S. 353 folgendes bemerkt:
„Da die Zeitungen mehrfach behauptet hatten, daß Delbrück das Projekt
der Reichseisenbahnen billige, so richtete ich an ihn die Frage, ob die Angabe der
Zeitungen richtig sei. Delbrück sah mich lächelnd an und sagte, er müsse mir
eigentlich diese Frage übelnehmen. Darauf erwiderte ich, ich sei hoch erfreut,
daß die Zeitungsnachricht auf Irrtum beruhe. Nun sei ich beruhigt, aber, setzte
ich hinzu, wie denkt der Reichskanzler über Reichsbahnen?
„Der Reichskanzler, erwiderte Delbrück, habe ja oft groß angelegte Ideen
oder interessirt sich lebhaft für die anderer; aber wenn ihm die Gefährlichkeit,
ja die Unmöglichkeit der Ausführung eines solchen Projekts auseinandergesetzt
wird, so ist er nicht der Mann, darauf zu bestehen.
„Am 24. März 1876 wurde dem preußischen Landtage ein Gesetzentwurf,
betreffend die Uebertragung des Eigentums und der sonstigen Rechte des Staates
an Eisenbahnen auf das Deutsche Reich, vorgelegt. Als ich es an meinem