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Thatsachen von dem daran geknüpften Raisonnement trennt, gegen dessen Richtig—
keit doch wohl Zweifel ausgesprochen werden dürfen, ohne der Wahrheitsliebe
des Fürsten irgendwie entgegenzutreten. Nimmt man an, daß Fürst Bismarck
es vermieden habe, sein Reichseisenbahnprojekt mit dem Minister Delbrück zu
besprechen, und daß dieser es nicht zweckmäßig gefunden hat, aus eigener Ver—
anlassung mit dem Fürsten über die Sache zu verhandeln, am wenigsten nachdem
der Entschluß desselben durch die Ausarbeitung des mehrerwähnten Gesetzentwurfs
im preußischen Ministerium bereits feststand, so ist es in der That wörtlich wahr,
daß nicht ein Schatten von Meinungsverschiedenheit über diese Frage zu Tage
getreten ist. Es konnte dies gar nicht eintreten, wenn über diese Angelegenheit
zwischen Bismarck und Delbrück gar nicht verhandelt worden ist.
„Ebenso richtig ist, daß Delbrück den Mut der Meinung hatte und dieselbe
bis dahin nicht verschwiegen hat; ferner, daß von ihm anzunehmen war, er
würde das Schlachtfeld nicht stillschweigend räumen, sondern seine abweichende
Meinung aussprechen. Aber dazu lag offenbar keine Veranlassung in dem Falle
vor, da die Sache hinter dem Rücken Delbrücks schon entschieden war. Dann
blieb nur noch die Wahl zwischen sich unterwerfen oder austreten.“
5. Will man begierig nach den nächsten positiven Gründen suchen, welche
Delbrück zum Abgange bestimmt haben, so läßt sich noch eine Reihe auffinden.
So steht fest, daß Bismarck sich weigerte, seine Vertretung im Vorsitz des Bank—
kuratoriums an Delbrück zu übertragen. v. Unruh meint, es habe hierin eine
starke Verletzung Delbrücks gelegen.) Ich glaube, v. Unruh überschätzt die
Bedeutung dieser Thatsache. Das Bankkuratorium versammelt sich viermal im
Jahre, um den Bericht des Bankpräsidenten über seine Politik und deren Er—
gebnisse entgegen zu nehmen, woran sich sodann meist noch eine kurze allgemeine
Besprechung knüpft. Fürst Bismarck hat diesen Bankkuratorialsitzungen so wenig
Bedeutung zugemessen, daß er jedenfalls seit dem Mai 1876 an denselben nie—
mals teilgenommen hat. Den Vorsitz führten seit dieser Zeit stets die General—
stellvertreter des Reichskanzlers, also die Minister Hofmann, Graf Stolberg—
Wernigerode und v. Boetticher.?)
Auch im eigenen Hause — dem Reichskanzler-Amt — hatte sich übrigens
manches zugetragen, was Delbrück nicht gefallen mochte. Er hatte es erleben
müssen, wie sich sein mit größter Energie und Thatkraft erkämpfter Einfluß
1) Erinnerungen S. 355: „Man sprach noch von mehreren anderen Zurücksetzungen
Delbrücks. Es mögen nun diese Erzählungen ganz richtig sein oder nicht, so viel steht fest,
daß dem Minister Delbrück in seiner dienstlichen Stellung und seinem Verhältnis zum Reichs-
kanzler allerlei Unangenehmes in jener Zeit widerfahren sein muß. Dadurch wurde die
Vermutung begründet, daß der Reichskanzler sich durch Delbrück beengt gefühlt, ihn für
entbehrlich gehalten und indirekt beseitigt habe.“
2) In Sachen des Rayongesetzes ordnete Delbrück 1872 seine Ansicht der Bismarcks
unter. Erinnerungen v. Unruhs S. 321.