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Gneisenau“ nannte Fürst Bismarck den Reichkanzler-Amts-Präsidenten Dr. Del-
brück zu einer Zeit, als er selbst noch den Prinzipien des Liberalismus Rech-
nung zu tragen schien und von der Menge, die ja so leicht zu kaptiviren ist,
für einen Blücher auf dem Felde der Politik gehalten wurde. Die Menge hat
sich getäuscht, und zu spät muß sie erkennen, daß der vermeintliche Blücher ein
„Marschall Rückwärts“ ist, dessen Führung der inneren Entwicklung Deutschlands
noch mehr Schaden thun dürfte, als sie uns durch die Einigung nach außen
Nutzen gebracht hat. Der Vergleich zwischen Bismarck und Blücher hat somit
seine Berechtigung verloren, der zwischen Delbrück und Gneisenau aber hat seine
Gültigkeit voll behalten, denn der frühere Reichskanzler-Amts-Präsident, auch wenn
er dem Reichskanzler heute kämpfend gegenübersteht, und trotzdem er von den
Offiziösen schon zur Klasse der Reichsfeinde gerechnet wird, bleibt doch, was er
stets gewesen, der Repräsentant der wirklichen nationalen Wirtschaftspolitik, der
„Generalstabschef der deutschen Freihandelspartei“.
Auch das Folgende mußte Delbrück über sich ergehen lassen: „Der Reichs-
kanzler hat in den Jahren seines aufsteigenden Erfolges ein besonderes Glück
in der Entdeckung ausgezeichneter und anspruchsloser Mitarbeiter gehabt. Wenn
man von seinem Kreditconto nur das abschreiben wollte, was die kritiklose Macht-
anbetung der Menge von dem Guthaben der beiden großen Denker Moltke und
Delbrück auf die Rechnung Bismarcks gesetzt hat, wie viel oder wie wenig bliebe
dann wohl für die vergötterte Durchlaucht? Daß das Gute, das nach dem
Frankfurter Frieden in Deutschland geschaffen wurde, wenn nicht aus,schließlich
so doch wesentlich Delbrücks Verdienst war, ist allbekannt, daß das Schlechte,
das Illiberale, das Unkonstitutionelle, was im Verlauf der Zeit immer häufiger
in die Erscheinung trat, den Beifall des Reichskanzler-Amts-Präsidenten nicht fand,
dafür bürgt dessen ganze liberale Vergangenheit sowie seine unabhängige Gegen-
wart. Auf allen Seiten, im Palast des Herrschers, im Parlamentssaal und in
dem deutschen Bürgerhause, war und ist man sich bewußt, welchen Dank die
Nation diesem Hauptmitarbeiter am Einigungswerke schuldet, nur an einer, und
leider an der maßgebenden Stelle, hat die Rivalität des Ruhmes das Gefühl
der Verpflichtung erstickt.“
Von außerparlamentarischen Aeußerungen Bismarcks über Delbrück sind nur
zwei bekannt; die eine fiel dem Kongreßpräsidenten Wm. D. Kelley von
Pennsylvanien gegenüber Anfangs Juli 1879, 1) ist aber in ihrem Wortlaut nicht
1) Vgl. Unger, „Unterredungen mit Bismarck“ Bd. I. S. 209 f. Nach Kellen
bemerkte Bismarck: „Ich hatte das Finanzwesen nicht zu meinem Studium gemacht und
hatte mit der Ausführung der nötig gewordenen Veränderungen jemand zu betrauen. Herr
Delbrück hatte großen Ruf als Finanzmann im Auslande wie im Inlande, und ihm wurde
die Angelegenheit übertragen. Aber so groß auch sein Ruf war, zeigten die Resultate
bald, daß, wie die Landleute sagen, er nur Wasser in seinem Kessel hatte. Ich mußte
daher andere Ratgeber fragen.“