Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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wünschte, schrieb er nunmehr nicht ausschließlich dem Staatsminister Hofmann, 
vielmehr häufig dem Chef der Reichskanzlei zum Vortrag. Die neue Organi— 
sation war für Bismarck kaum entbehrlich; ihre Bedeutung für die Ressortchefs 
im Reich springt aber erst dann ins Auge, wenn man bedenkt, daß der Kanzler 
einen großen Teil des Jahres fern von Berlin zuzubringen pflegte (1877/78 
zum Beispiel neun Monate lang). Die Ressortchefs hatten nicht mehr in 
demselben Maße wie früher das Ohr Bismarcks, und es ging ihnen ungefähr 
wie Ministern, die zwischen sich und dem die Residenz gerne fliehenden 
Monarchen einen einflußreichen Kabinetsrat stehen sehen. Geschäfte, die 
Delbrück in fünf Minuten beim Chef erledigte, indem er nur ein paar Häuser 
weit ging und eine ihm zu jeder Stunde bereite Thür öffnete, erforderten jetzt 
allerlei Umständlichkeiten. Der Staatsminister Hofmann pflegte zwar auch dem 
Chef mündlich Vorträge zu erstatten, jedoch lange nicht in dem Umfange wie 
Delbrück. Die Promemorias kamen jetzt auf, worauf Bismarck dann kurze 
Randbemerkungen zu setzen pflegte, zur Direktive für die weitere Behandlung 
der Gegenstände. 
Aber auch sonst vollzog sich ein Wandel in der Stellung des Reichskanzler- 
Amts-Präsidenten; während Delbrück, wie wir oben sahen, in seinem Ressort ganz 
frei schalten und walten durfte — immer natürlich mit der Restriktion, daß er 
bewußt war, im Geiste Bismarcks zu handeln — führte der Reichskanzler schon 
bald nach der Ernennung des Staatsministers Hofmann die Stellung des 
Präsidenten des Reichskanzler-Amts auf die eines einfachen „Staatssekretärs= 
zurück. Es war die Zeit, wo — wie bereits erwähnt — in Bismarck der 
Wunsch rege wurde, die Leitung auch der inneren Geschäfte des Reiches mehr in 
seine Hände zu nehmen und sich mit obersten Reichsbeamten zu umgeben, die 
gewillt waren — soweit es sich nicht um technische Fragen handelte — ganz 
nach seinen Direktiven zu verfahren. Hofmann sollte nach Bismarcks Intentionen 
und ausdrücklichen Instruktionen ihm gegenüber im inneren Ressort etwa die 
Stellung einnehmen, wie sie der Staatssekretär von Bülow im äußeren Ressort 
inne hatte, das heißt, so viel als ausschließlich im Geiste des Chefs die Ge- 
schäfte führen, nichts Neues beginnen, ohne den Kanzler zu fragen, in einer 
begonnenen Sache keinen entscheidenden Schritt thun, ohne sich wiederum seines 
Einverständnisses versichert zu haben. Bülow hatte sich in Bismarck ganz hinein- 
gelebt; schon in Frankfurt am Main hatte er gelernt, seine Größe voll zu 
würdigen, und es sich später als ein schönes Lebensziel gesteckt, ganz im Dienste 
dieses Mannes aufzugehen und alle persönlichen Ambitionen und Ansichten zurück- 
treten zu lassen. Seine Beschäftigung im auswärtigen Ressort, wo naturgemäß 
nur der Wille eines Mannes maßgebend sein kann, erleichterte ihm gewiß die 
Uebernahme einer solchen Stellung unter dem von beispiellosen diplomatischen 
Erfolgen gekrönten Kanzler. Schwieriger erwies sich die Sache für Hofmann, 
der als unabhängiger Mann in eine Stellung eintrat, die er sich nicht in dem
	        
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