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Im August 1875 legte der Reichskanzler die Entwürfe, betreffend die Ab—
änderung des Artikels 7 der Gewerbeordnung, sowie über die gegenseitigen
Hilfskassen neuerdings vor. Der erste Entwurf ging auf Abänderung des
Artikels 8 der Gewerbeordnung und umfaßte zwei Artikel. Artikel 1 substituirte
dem Artikel 141 der Gewerbeordnung eine Reihe anderer Bestimmungen über
Hilfskassen, welche die Grenzen des Versicherungszwanges und die Wege angaben,
auf welchen es bezüglich der Hilfskassen künftig zur Anwendung gelangen sollte.
Artikel 2 gewährte die durch die Verhältnisse gebotenen Maßgaben, unter welchen
die bestehenden, auf amtlicher Anordnung beruhenden Hilfskassen die aus den
Grundsätzen der neuen Gesetzgebung sich ergebende Umgestaltung zu bewerkstelligen
hatten. Als Hauptmotiv war der Nachteil der Mannigfaltigkeit des bisherigen
Rechtszustandes und das Bedürfnis einer Umgestaltung der jetzigen Verhältnisse
gegenüber der thatsächlichen Entwicklung der Gewerbe angegeben. In eingehender
Weise war der aufrechterhaltene Versicherungszwang motivirt. Der zweite
Entwurf betraf die gegenseitigen Hilfskassen und regelte in 34 Paragraphen die
Verwaltung der Kassen und das Aufsichtsrecht der Behörden.!)
Die Bundesratsausschüsse für Handel und Verkehr und für Justizwesen
beantragten, den Gesetzentwurf über Abänderung des Titels VIII. der Gewerbe-
ordnung mit sieben Modifikationen anzunehmen. ) Das Gesetz über die
gegenseitigen Hilfskassen wurde von denselben Ausschüssen in 19 Punkten ab-
geändert.3)
1) Näheres über beide Entwürfe und die denselben beigegebenen Motive findet man
in der „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 200 v. 28. 8. 75 und 211 v. 11. 9. 75.
2) Die grundsätzlich wichtigsten Aenderungen gingen dahin: § 141 habe zu lauten:
„Durch Ortsstatut kann die Bildung gegenseitiger Hilfskassen (Gesetz über die gegenseitigen
Hilfskassen vom . )zur Unterstützung von Gesellen, Gehilfen, Lehrlingen und Fabrik-
arbeitern angeordnet werden, die Gemeindebehörde ist in diesem Falle ermächtigt, die Ein-
richtungen der Kassen nach Anhörung der Beteiligten zu regeln und für die Verwaltung
der Kassen, soweit dies nicht durch die Mitglieder geschieht, Sorge zu tragen.“ § 141a
soll lauten: „Durch Ortsstatut kann Gesellen, Gehilfen, Lehrlingen und Fabrikarbeitern,
welche das 16. Lebensjahr zurückgelegt haben und die Beteiligung an einer gegenseitigen
Hilfskasse nicht nachweisen, die Beteiligung an einer bestimmten Kasse dieser Art zur
Pflicht gemacht werden. Es bedarf der Zustimmung der Kasse, wenn deren Errichtung auf
freier Vereinbarung beruht, die Kasse unterliegt alsdann der Vorschrift des § 141. Wer
der Pflicht zur Beteiligung nicht genügt, kann von der Kasse für alle Zahlungen, welche
bei rechtzeitigem Eintritte von ihm zu entrichten gewesen wären, gleich einem Mitgliede in
Anspruch genommen werden.“ Ferner soll ein neuer § 1416 lauten: „Die Forderungen
einer Kasse verjähren in einem Jahre. Die Verjährung beginnt mit Schluß des Kalender-
jahres, in welchem die Forderung entstanden ist.“
3) Am wichtigsten waren folgende Abänderungen. In § 4: „Die Verwaltungsbehörde
hat über die Zulassung der Kasse zu entscheiden. Die Zulassung darf nur versagt werden,
wenn das Statut den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, oder wenn nach dem einzu-
bolenden Gutachten eines Sachverständigen die statutmäßigen Beiträge zur Gewährung des
gesetzlichen Mindestbetrages der Unterstützungen nicht ausreichen können. Wird die Zulassung