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Die Reichsjustizgesetze. Bei der Eröffnung des vorjährigen Reichs-
tags wurden diese Gesetze in der Thronrede mit folgenden Worten angekündigt:
„Vier Gesetzentwürfe: über die Verfassung der Gerichte, über das Zivilverfahren,
über das Strafverfahren und über das Konkursverfahren, von welchen die drei
ersten bereits von dem Bundesrat beraten sind, sollen die seit Jahrzehnten von
den Rechtsuchenden als Bedürfnis erkannte und von den Rechtskundigen erstrebte
Einheit des Gerichtsverfahrens verwirklichen und durch diese Einheit unserm
Vaterlande ein Gut gewähren, welches andere Länder längst besitzen und welches
wir nicht länger entbehren können.“
In dieser Bundesratssession konnte diese wichtigste und umfassendste seiner
Aufgaben noch nicht zum Abschluß gebracht werden. Zunächst ist zu bemerken,
daß es einer Deputation aus den Reichslanden gelang, das Interesse Bismarcks
für Beibehaltung der Handelsgerichte wachzurufen. Die Handelskammern in
Elsaß-Lothringen hatten nämlich eine Deputation nach Berlin entsendet, um
gegen den Beschluß der Reichs-Justizkommission, die Handelsgerichte aufzuheben,
an maßgebender Stelle Vorstellungen zu erheben. Die Präsidenten und Mit-
glieder der Handelskammern von Mülhausen, Kolmar und Straßburg, die
Herren Schmerber, Salzmann und Bergmann, welch letzterer auch Mitglied der
Tarif-Enquêètekommission war, hatten am 2. Juni 1875, abends 10 Uhr, 1) beim
Reichskanzler eine halbstündige Audienz. Herr Bergmann betonte namentlich
die politischen Gefahren, welche die Aufhebung der Handelsgerichte im Elsaß,
wo die dreihundertjährige Institution in Fleisch und Blut der Bevölkerung über-
gegangen war, mit sich bringen würde, indem mit dieser Maßregel der Oppositions-
und Protestpartei im Elsaß Thür und Thor für ihre Agitation geöffnet werde.
Fürst Bismarck empfing die Deputation in der freundlichsten und zuvorkommendsten
Weise; er wies die Herren darauf hin, daß der Beschluß der Reichs-Justiz=
kommission wegen Aufhebung der Handelsgerichte von derselben erst in erster
Lesung gefaßt sei und könne derselbe später noch reformirt werden; ebenso habe
sich der Bundesrat darüber noch gar nicht schlüssig gemacht und sei es noch
zweifelhaft, ob der Reichstag den Beschluß seiner Kommission adoptiren werde.
Der „Post“ zufolge schied die Deputation in voller Befriedigung von dem
Reichskanzler.
Am 18. Juni 1875 beschäftigte sich der Justizausschuß des Bundesrats
mit den Anträgen Lübecks, Hamburgs und Bremens wegen der Handelsgerichte,
und er einigte sich dahin, bei dem Bundesrat eine Beschlußfassung dahin zu
beantragen: Die Kommissare ver verbündeten Regierungen bei den Beratungen
der Reichstagskommission über die Justizgesetzentwürfe seien mit Instruktionen
dahin zu versehen: 1. daß sie der gemeinsamen Ueberzeugung der verbündeten
Regierungen entschiedenen Ausdruck geben: „es sei die Aufrechterhaltung der
1) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt.