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Koalition thatsächlich herausgetreten, und Bayern wird doch nicht auf sich kom-
men lassen, daß es etwa am Schweife derselben einherziehe. So kommen wir
denn fast auf die Vermutung: das sachliche Ziel, welches die bayerische Re-
gierung nach ihrer Versicherung in dieser Angelegenheit allein verfolgt, ist das,
an einem flagranten Falle die ganze politische Unmöglichkeit einer derartigen
Moajorisirung klar zu stellen. Es ist berechnet worden, daß die dreißig Stimmen
der Majorität eine Bevölkerungssumme von etwa zwölf Millionen repräsen-
tiren, während hinter der Minderheit nicht weniger als neunundzwanzig Millionen
Deutsche stehen. Wir können uns aber eine Kombination denken, in welcher
auf Seiten der Mehrheit statt Bayerns etwa Baden und Hessen (wir haben
selbstverständlich nur die Größe und Stimmenzahl dieser Staaten im Auge)
und statt Sachsens Anhalt und die drei Hansestädte ständen. In diesem Falle
würde Herr v. Mittnacht — an der Spitze von kaum sechs Millionen — Preußen,
Bayern und Sachsen mit fünfunddreißig Millionen hinter sich Gesetze diktiren.
Daß so etwas allenfalls auf dem Papiere stehen kann, aber gegen die Macht
der wirklichen und geschichtlichen Kräfte einfach undurchführbar sein würde,
unterliegt bei Verständigen gewiß keinem Zweifel. Wenn man sich dagegen auf
die verfassungsmäßige Stimmverteilung im Bundesrate beruft, so erwidern wir
darauf einfach: den Mittel= und Kleinstaaten ist eine Stimmenzahl ganz über
das Verhältnis ihrer Größe und Bedeutung darum gegeben, damit sie daran
eine Gewähr haben gegen die Gefahr, in ihren berechtigten Sonderinteressen
durch den mächtigsten Staat des Reiches majorisirt zu werden — aber gewiß
nicht, damit sie in einer Angelegenheit, bei welcher ein derartiges Sonderinteresse
gar nicht in Frage kommen kann, ihrerseits den mächtigsten und führenden
Staat majorisiren."
Auf einen späteren Fall der Majorisirung der Präsidialmacht im Jahre 1894
anspielend, 1) bemerkte der „Rheinische Courier“: „Es ist zu bedauern, daß über
die Verhandlungen des Bundesrats keine amtlichen Mitteilungen gemacht werden,
durch welche die Bildung staatsrechtlicher und politischer Legenden verhütet
werden würde. Für den Ausländer, welchem die feine Bauart des deutschen
Verfassungsstaates in ihren Einzelheiten nicht genau bekannt ist, wird es stets
schwer verständlich sein, daß der Kaiser einen Beschluß des Bundesrats an den
Reichstag zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung bringen muß, den er durch
seine Bevollmächtigten, welche den preußischen Staat vertreten, im Bundesrate
bekämpft hat. Bekanntlich hat dieser staatsrechtliche Zwiespalt dem Fürsten
Bismarck einmal Veranlassung gegeben, sein Entlassungsgesuch einzureichen.
1) Die Abstimmung des Bundesrats über den von der sächsischen Regierung ein-
gebrachten Antrag auf Bestrafung der uneidlichen unwahren Zeugenaussagen vor Gericht
hatte das Resultat, daß der sächsische Vorschlag gegen die preußischen Stimmen angenom-
men wurde.