Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

— 285 — 
Grund gewesen zu sein, der ihn zu seinem Entlassungsgesuch bestimmt hat. 1) 
Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß nicht auch noch andere Motive 
seinen Entschluß beeinflußt haben. Namentlich mag ihm wohl . das Leben 
etwas schwer gemacht haben und noch mehr dürften ihm die Herren National- 
liberalen im Reichstag mit ihren Nörgeleien, mit ihren Klagen über Re- 
gierungslosigkeit und ihrem Drängen nach verantwortlichen Reichsministern seine 
Stellung verleidet haben. Befände er sich aber noch im Vollgenuß seiner 
Gesundheit, so würden dergleichen Widerwärtigkeiten leicht von ihm überwunden 
worden sein, während es mir ganz begreiflich erscheint, daß er sich bei seiner 
gesteigerten nervösen Reizbarkeit jetzt nicht mehr dazu fähig fühlt, ohne in 
kurzer Zeit seine Kräfte vollständig aufzureiben. Mag aber auch der eigentliche 
Grund sein, welcher er wolle, so muß doch jeder, dem die weitere gedeihliche Ent- 
wicklung unserer inneren Verhältnisse am Herzen liegt, in seinem Ausscheiden 
schlechthin ein nationales Unglück erblicken. Wir sitzen noch nicht so fest in dem 
Sattel, in den er uns gehoben, daß wir mit festem Vertrauen in die Zukunft 
ohne sichere Führung weiter reiten könnten. Wo ist aber der Mann, der fähig 
wäre, diese Führung an seiner Stelle zu übernehmen! Ich kenne ihn nicht, und 
schwerlich wird er zu finden sein. Gleichwohl würde ich es für einen ent- 
schiedenen Mißgriff halten, wenn man die jetzige Krisis mit einem einjährigen 
Urlaub und einem für die Dauer desselben einzurichtenden Provisorium ver- 
kleistern wollte. Indeß fürchte ich nicht, daß es dazu kommen wird; ohne den 
Reichstag würde sich eine solche dauernde Stellvertretung nicht ermöglichen lassen, 
und daß dieser zu einer organischen Einrichtung dieser Art seine Zustimmung 
geben werde, scheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein.“) 
Gotha, den 13. April 1877. 
An Frau Wanda von Keethe. 
„Ob mit der nun feststehenden Beurlaubung Bismarcks die letzte Reichs- 
kanzlerkrisis ihren Abschluß gefunden, oder ob dieselbe nur eine präparatorische 
Maßregel sei, durch welche der Uebergang zu der späteren gänzlichen Entlassung 
vermittelt werden soll, darüber scheint man in Berlin auch in den bundes- 
rätlichen Kreisen noch durchaus keine Gewißheit zu haben. Meine Ansicht geht 
dahin, daß darüber auch zurzeit noch gar keine bestimmte Entscheidung 
erfolgt ist, diese vielmehr noch von manchem, was in der Zukunft liegt, abhängig 
gemacht werden wird. Meine Hoffnung aber ist darauf gerichtet, daß er bleibt."“ 
1) Bismarck bat am 27. März 1877 den Kaiser um Enthebung von seinen amtlichen 
Stellungen im Reich und in Preußen. 
2) Der Kaiser setzte auf das Entlassungsgesuch Bismarcks das historisch denkwürdige 
Wort „Niemals“ und bewilligte dem Kanzler dafür einen längeren Urlaub.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.