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Grund gewesen zu sein, der ihn zu seinem Entlassungsgesuch bestimmt hat. 1)
Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß nicht auch noch andere Motive
seinen Entschluß beeinflußt haben. Namentlich mag ihm wohl . das Leben
etwas schwer gemacht haben und noch mehr dürften ihm die Herren National-
liberalen im Reichstag mit ihren Nörgeleien, mit ihren Klagen über Re-
gierungslosigkeit und ihrem Drängen nach verantwortlichen Reichsministern seine
Stellung verleidet haben. Befände er sich aber noch im Vollgenuß seiner
Gesundheit, so würden dergleichen Widerwärtigkeiten leicht von ihm überwunden
worden sein, während es mir ganz begreiflich erscheint, daß er sich bei seiner
gesteigerten nervösen Reizbarkeit jetzt nicht mehr dazu fähig fühlt, ohne in
kurzer Zeit seine Kräfte vollständig aufzureiben. Mag aber auch der eigentliche
Grund sein, welcher er wolle, so muß doch jeder, dem die weitere gedeihliche Ent-
wicklung unserer inneren Verhältnisse am Herzen liegt, in seinem Ausscheiden
schlechthin ein nationales Unglück erblicken. Wir sitzen noch nicht so fest in dem
Sattel, in den er uns gehoben, daß wir mit festem Vertrauen in die Zukunft
ohne sichere Führung weiter reiten könnten. Wo ist aber der Mann, der fähig
wäre, diese Führung an seiner Stelle zu übernehmen! Ich kenne ihn nicht, und
schwerlich wird er zu finden sein. Gleichwohl würde ich es für einen ent-
schiedenen Mißgriff halten, wenn man die jetzige Krisis mit einem einjährigen
Urlaub und einem für die Dauer desselben einzurichtenden Provisorium ver-
kleistern wollte. Indeß fürchte ich nicht, daß es dazu kommen wird; ohne den
Reichstag würde sich eine solche dauernde Stellvertretung nicht ermöglichen lassen,
und daß dieser zu einer organischen Einrichtung dieser Art seine Zustimmung
geben werde, scheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein.“)
Gotha, den 13. April 1877.
An Frau Wanda von Keethe.
„Ob mit der nun feststehenden Beurlaubung Bismarcks die letzte Reichs-
kanzlerkrisis ihren Abschluß gefunden, oder ob dieselbe nur eine präparatorische
Maßregel sei, durch welche der Uebergang zu der späteren gänzlichen Entlassung
vermittelt werden soll, darüber scheint man in Berlin auch in den bundes-
rätlichen Kreisen noch durchaus keine Gewißheit zu haben. Meine Ansicht geht
dahin, daß darüber auch zurzeit noch gar keine bestimmte Entscheidung
erfolgt ist, diese vielmehr noch von manchem, was in der Zukunft liegt, abhängig
gemacht werden wird. Meine Hoffnung aber ist darauf gerichtet, daß er bleibt."“
1) Bismarck bat am 27. März 1877 den Kaiser um Enthebung von seinen amtlichen
Stellungen im Reich und in Preußen.
2) Der Kaiser setzte auf das Entlassungsgesuch Bismarcks das historisch denkwürdige
Wort „Niemals“ und bewilligte dem Kanzler dafür einen längeren Urlaub.