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fünf Mitgliedern sich zu einer ganz bedeutenden Ausdehnung der Kompetenz
für die Schöffengerichte entschlossen hatte; ferner bestand derselbe auf der Fil—
trirung der Geschworenenliste durch den Schwurgerichtspräsidenten, und wider-
setzte sich der Bestimmung, daß die Beamten der Staatsanwaltschaft bei ihren
Ausführungen und Anträgen an dienstliche Anweisungen nicht gebunden seien.
Er hielt an der Beschlagnahme von Briefen auf der Post und Telegrammen
auch bei Verfolgung bloßer Uebertretungen fest und wollte auch dem Staats-
anwalt Durchsuchungen ohne Zuziehung eines Gemeindebeamten oder zweier
Gemeindemitglieder gestatten. Eine Gruppe abweichender Beschlüsse bezog sich
sodann auf die Notwendigkeit und die Rechte der Verteidigung; die unbedingte
Oeffentlichkeit der Urteilsverkündung wurde auf die Urteilsformel mit Ausschluß
der Entscheidungsgründe beschränkt. Das Recht auf Anschluß als Nebenkläger
wurde den durch Verbrechen gegen Leben, Gesundheit, Freiheit, Personenstand
und Vermögensrechte Verletzten vorenthalten; ebenso dem Verurteilten die Be-
schwerde bei Gericht wegen ungesetzlicher Strafvollstreckung.
Am 12. Dezember 1876 entschied der Bundesrat in einer dreistündigen
Sitzung unter dem Vorsitz Bismarcks das Schicksal der Justizgesetze, nachdem
Tags vorher der Kanzler und der preußische Justizminister dem Kaiser Vortrag
erstattet hatten. 1)
Das Ergebnis der bundesrätlichen Beschlußfassung, gewissermaßen dessen
letztes Wort, teilte Bismarck in folgendem Schreiben dem Reichstag mit:
Berlin, den 12. Dezember 1876.
Bei dem hohen Werte, welcher auf das Zustandekommen der dem Reichstag
vorliegenden Justizgesetze von den verbündeten Regierungen gelegt wird, und da
bei der Kürze der Zeit, welche zu dem gemeinsamen Wirken in dieser Legislatur-
periode nur noch übrig ist, zu besorgen steht, ob es gelingen wird, diese Gesetze
in dem sonst hergebrachten Geschäftsgange zu vereinbaren, hat der Bundesrat
es für geboten erachtet, die Ergebnisse seiner Beratung über die von dem Reichstag
in zweiter Lesung gefaßten Beschlüsse — Nr. 60, 81, 82, 96 der Drucksachen
des Reichstags — ungesäumt und insgesamt schon vor dem Beginn der dritten
Lesung zur Kenntnis des Reichstags zu bringen.
Demgemäß beehrt sich der unterzeichnete Reichskanzler, Ew. Hochwohl-
geboren die beiliegende Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundesrats mit
dem ganz ergebensten Ersuchen zu übersenden, dieselbe dem Reichstag gefälligst
mitteilen zu wollen.
1) Vgl. „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 292 v. 13. 12. 76; Preußen bezeichnete nur 19 An-
träge des Reichstags als unannehmbar, nicht 30, wie fälschlich verbreitet wurde (Nr. 294
v. 15. 12. 76). Bei einem parlamentarischen Diner, das der Minister Camphausen am
10. Dez. 1876 gab, wurde auch über die Justizgesetze verhandelt, und es kamen alle zu der
Ansicht, daß Fürst Bismarck sich nicht mehr geneigt zeige, die Justizreform zu fördern. Diese
Annahme war völlig unzutreffend. "