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des Bundesrats zuzustimmen, handelte es sich behufs Sicherung einer Mehrheit
für die letzte Verständigung eben darum, einen Boden zu finden, auf welchem
auch die nationalliberale Partei den Ausgleich annehmen konnte. Drei der
bedeutendsten Führer dieser Partei, welche zugleich als Vertreter der verschiedenen
Schattirungen derselben gelten, übernahmen das wichtige Vertrauenswerk und
haben dasselbe erfolgreich und ehrenvoll durchgeführt. 1) Die höchsten Vertreter
der Bundesregierungen kamen ihnen mit gleichem Streben für das Gelingen
des nationalen Werkes entgegen: während einige der wichtigsten Bedenken des
Bundesrats allerdings unbedingt aufrecht erhalten werden mußten, wurden
einige andere schließlich aufgegeben, bei der Mehrzahl aber eine Verständigung
über eine annehmbare Fassung erzielt. Die Ergebnisse der vertraulichen Ver-
handlungen fanden die Zustimmung der gesamten nationalliberalen Partei. —
und da die Konservativen alsbald ihre grundsätzliche Uebereinstimmung mit der
erreichten Verständigung erklären konnten, so war damit das Gelingen der
Vereinbarung gesichert."“
Der Bundesrat befaßte sich noch in zwei Sitzungen mit dem Kompromiß.
In einer kurzen Plenarsitzung vom 22. Dezember 1876 trat derselbe den Be-
schlüssen, welche der Reichstag am 21. Dezember gefaßt hatte, in allen Punkten
einstimmig bei. Und in einer Plenarsitzung vom 23. Dezember 1876 unter
Vorsitz des Justizministers Dr. Leonhardt wurde den Entwürfen eines Gerichts-
verfassungsgesetzes, einer Zivilprozeßordnung, einer Strafprozeßordnung und einer
Konkursordnung sowie der Einführungsgesetze dazu in der vom Reichstag an-
genommenen Fassung die Zustimmung erteilt.
Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 41),
Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877
(Reichs-Gesetzbl. S. 77),
Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 838),
1) Ueber diese Verhandlungen brachte die „National-Zeitung“ folgende nähere Mit-
teilung: „Nach dreitägigen aufopfernden Bemühungen sind die Abgeordneten v. Bennigsen,
Lasker und Miquel dahin gelangt, mit dem preußischen Justizminister unter stetiger
Verständigung des Reichskanzlers die Grundlagen eines Ausgleichs über die
letzten Beschlüsse des Bundesrats festzustellen, welcher geeignet ist, die Justizgesetze zum
Abschluß zu bringen. Die nationalliberale Fraktion hat sich heute nach Schluß der
Reichstagssitzung in einer zweistündigen Beratung über diesen Ausgleich schlüssig gemacht
und unter 128 anwesenden Mitgliedern mit 122 Stimmen für denselben ausgesprochen:
nur vier Stimmen waren dagegen, zwei Mitglieder enthielten sich der Abstimmung. Außer-
dem hatten von 26 abwesenden Mitgliedern fünf ausdrücklichen Auftrag gegeben, ihre
Stimmen für die Vereinbarung zu zählen.“ — Die in verschiedene Zeitungen über-
gegangene Mitteilung, daß der preußische Justizminister in den Verhandlungen mit den
Reichstagsabgeordneten von Bennigsen, Dr. Lasker und Miquel über die Justizgesetze Zu-
geständnisse wegen der Presse gemacht, welche der Reichskanzler zurückgenommen habe,
wurde vom „Reichs= und Staatsanzeiger“ eines besonderen Dementis gewürdigt.