Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Die gut informirte Berliner Korrespondenz der „Hamburger Nachrichten“ 
meldete: „Fürst Bismarck erklärte schon vor der Abstimmung im Bundesrat 
Jedem, der es hören wollte, daß er sich als deutscher Reichskanzler in der 
Frage des Sitzes des Reichsgerichts neutral halte und keinerlei Druck auf die 
kleinen Regierungen ausüben werde. Es war ihm bekannt, daß die Souveräne 
der Mittelstaaten sich brieflich verabredet hatten und daß auch die thüringischen 
Vettern sowie die hohen Herren von Mecklenburg und Oldenburg in die 
Verabredung hineingezogen waren. Gleichwohl hat er es verschmäht, irgend 
einen Schritt zur Vereitelung dieser Wünsche zu thun, und die Vorschläge, die 
in dieser Beziehung an ihn herantraten, abgelehnt. Es ist also thöricht, von 
einer Niederlage bei einer Angelegenheit zu sprechen, bei der der Kanzler es 
nicht der Mühe wert hielt, einen Kampf überhaupt aufzunehmen.“!) 
Ueber die durch den Bundesratsbeschluß geschaffene staatsrechtliche Lage 
bemerkte die „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 56 v. 8. 3. 77 im Anschluß an die 
Mitteilung von der inzwischen erfolgten Einbringung der natürlich mit neuen 
Motiven 2) versehenen Vorlage in den Reichstag: „Der Reichskanzler hat den 
Akt der Einbringung des Entwurfs in den Reichstag nicht als Vorsitzender des 
Bundesrats, sondern als Vertreter des Reichspräsidiums zu vollziehen gehabt, 
denn diesem ist nach der Verfassung die Einbringung der Vorlagen im Reichstag 
übertragen. Die Annahme, daß dem Kaiser noch ein Veto gegen den Beschluß 
des Bundesrats zugestanden habe, wie in der „National-Zeitung ausgeführt 
wird, 3) trifft augenscheinlich nicht zu. Die Reichsverfassung unterscheidet sich 
gerade in dieser Beziehung von den Verfassungen konstitutioneller Einheits- 
staaten. 
Während zum Beispiel die preußische Verfassung sagt: die gesetzgebende 
Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und den Landtag geübt, heißt 
es in Art. 5 der Reichsverfassung: Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch 
vollmächtigten und besonders auch von dem Staatssekretär des Reichs-Justizamts Erwägungen 
allgemeiner politischer Art unter Betonung des nationalen Interesses hervorgehoben wurden. 
Nur das muß ganz bestimmt bestritten werden, daß die Angelegenheit durch Preußen 
irgendwie vom Gesichtspunkte der preußischen Hegemonie oder des preußischen Uebergewichts 
behandelt worden sei, und daß in dieser Beziehung, wie die Angelegenheit auch schließlich 
erledigt wird, von einer Niederlage Preußens die Rede sein könne.“ 
1) Vgl. auch oben S. 262 f. 
2) Die der Vorlage beigegebene kurze „Begründung“ enthält darüber, daß Leipzig 
zum Sitz des Reichsgerichts vorgeschlagen, lediglich folgendes: „Für diesen Vorschlag der 
verbündeten Regierungen ist die Erwägung ausschlaggebend gewesen, daß das oberste Reichs- 
gericht, welches durch das Gesetz vom 12. Juni 1869 (Bundes-Gesetzblatt S. 201) für 
Handelssachen geschaffen wurde, und dessen Zuständigkeit im Laufe der Zeit bereits durch 
spätere Gesetze mehrfach erweitert worden ist, dort seinen Sitz hat und überwiegende Gründe, 
hierin eine Aenderung eintreten zu lassen, sich nicht ergeben haben.“ 
3) Vgl. den Artikel der „Nat.-Ztg.“ Nr. 109 v. 6. 3. 77: Der Bundesrat und der 
verantwortliche Reichskanzler. 
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. III. 20
	        
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