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1877 zusammengetreten, um sich über die Angelegenheit schlüssig zu machen.
Als Referent im Plenum fungirte der braunschweigische Bevollmächtigte, Wirkl.
Geheime Rat v. Liebe. Derselbe beantragte namens des Ausschusses die einfache
Zustimmung zu dem Reichstagsbeschluß, das Reichsgericht nach Leipzig zu ver-
legen. Der Bundesrat gab diesem Antrag ohne Debatte seine Einwilligung.
Der Königlich sächsische Bevollmächtigte gab bei dieser Gelegenheit folgende
Erklärung ab: „Die Königlich sächsische Staatsregierung hätte zwar gewünscht,
dieses Gesetzes durchaus selbstverständlich, daß es nicht im Plenum des Bundesrats kurzer
Hand erledigt werden konnte, sondern daß eine formelle Beratung darüber stattfinden
mußte. Die Veränderung, welche der vom Bundesrat an den Reichstag gelangte Gesetz-
entwurf durch den Beschluß des letzteren erfahren hat, ist freilich insofern eine lediglich
formelle, als der Beschluß des Reichstags, welcher Sachsen die Berechtigung zur Bei-
behaltung eines eigenen höchsten Gerichtshofes entzieht, der ursprünglichen Idee des Gesetzes
und der ganzen Sachlage, die dasselbe schafft, inhaltlich näher kommt, denn daß es als
eine Modifikation zu betrachten ist, die eine sachlich veränderte Entscheidung im Bundesrat
herbeiführen könnte. Aber auch schon die Veränderung der äußeren Form eines Gesetz-
entwurfs ist vollständig genügend, um das kurze Verfahren einer bloßen Bestätigung der
Reichstagsbeschlüsse durch den Bundesrat nicht stattfinden zu lassen. Die Thatsache ferner,
daß die Mehrheit im Bundesrat, in Gemäßbeit deren Beschlusses der Gesetzentwurf an den
Reichstag gebracht wurde, eine sehr kleine gewesen ist, und daß Preußen sich in der
Minderheit befunden hat, war ein anderer Grund, um auf die Abkürzung des Geschäfts-
verfahrens nicht einzugehen. Freilich hängt mit dieser formellen Behandlung noch keines-
wegs die materielle zusammen. Die nachträgliche Ablehnung des Gesetzentwurfs würde
gegenüber dem früheren Beschlusse des Bundesrats ohne Zweifel einen sachlichen Wider-
spruch in sich tragen. Ein solcher sachlicher Widerspruch würde seine politische Recht-
fertigung nur dann finden, wenn es jetzt der Minorität gelänge, die Majorität zu
überzeugen, daß aus dem früheren Beschlusse eine schwere Gefahr für das Reich hervor-
gehen würde, oder wenn es Preußen gelänge, nachzuweisen, daß es in die absolute
Unmöglichkeit versetzt wäre, dem Beschlusse nachzugeben. Diese Beweise müssen aber ganz
klar erbracht werden, wenn irgend eine Veränderung der Entschließung, sei es im Bundesrat,
sei es im Reichstag, zu erwarten wäre. Kann ein solcher Beweis nicht erbracht werden,
sondern handelt es sich für Preußen um die Frage der größeren oder minderen Bequem-
lichkeit, so ist politisch der Weg vorgezeichnet, welcher einzuschlagen ist, und ein Abweichen
hiervon würde weit größere Verwicklungen in Aussicht stellen, als diejenige, welche zu
besorgen der bisherige Verlauf der Dinge den Gegnern des Beschlusses Anlaß gegeben hat.
Auf der einen Seite ist natürlich, so lange eine förmliche Wiedererwägung gestattet ist, die
Wahrnehmung der höchsten Reichsinteressen Pflicht aller Faktoren der Gesetzgebung; anderer-
seits aber ist der durch eine relativ große Mehrheit des Reichstags bestätigte Beschluß des
Bundesrats ein viel zu wichtiger politischer Akt, als daß er selbst noch so heftigen Tages-
strömungen gegenüber außer Kraft gesetzt werden könnte, zumal da ein den Beschluß des
Reichstags ablehnender Beschluß des Bundesrats keineswegs die Sache in anderem Sinne
entscheiden, sondern die Entscheidung nur für ein Jahr aufschieben und eine ungemein
verwickelte Frage der nächsten Reichstagssession vorbehalten würde. Allen diesen Er-
wägungen gegenüber ist man berechtigt, das Entgegengesetzte zu erwarten, nämlich daß,
wenn nicht sehr hohe Reichsinteressen oder die Frage der Unmöglichkeit für Preußen im
Wege stehen, die Verhandlungen im Bundesrat eher einen versöhnlichen Abschluß als eine
Steigerung des Streites über dieses Thema herbeiführen werden.“