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beantragten: Der Bundesrat wolle beschließen, die Erledigung der zwischen
der preußischen Regierung einerseits und der Großherzoglich sächsischen und
der Herzoglich sachsen-coburg-gothaischen Regierung andererseits bezüglich der
Besteuerung der thüringischen Eisenbahn bestehenden Streitigkeit dadurch ein-
zuleiten, daß das Reichs-Oberhandelsgericht in Leipzig ersucht werde, über die
Frage: ob nach Artikel 15 Absatz 1 des Staatsvertrags vom 19. April 1844
die Königlich preußische Regierung den beiden anderen Regierungen gegenüber
verpflichtet ist, die thüringische Eisenbahngesellschaft auch von jeder Kommunal-=
abgabe, mit alleiniger Ausnahme der Grundsteuer und anderer dinglicher Lasten,
soweit solche nach der bestehenden Landesgesetzgebung von der Gesellschaft zu
übernehmen sind, zu befreien, — einen Schiedsspruch zu fällen, und die
beteiligten Regierungen verpflichtet erklärt werden, sich dem ergehenden Schieds-
spruch zu unterwerfen. Vorstehender Ausschußantrag wurde in der Sitzung
des Bundesrats vom 15. Mai 1877 angenommen.
Eine Landeshoheitsdifferenz zwischen Preußen und Ham-
burg. Eine dritte beim Bundesrat zur Entscheidung gestellte Meinungs-
verschiedenheit zwischen zwei Bundesstaaten, diesmal zwischen Hamburg und
Preußen, betraf die Landeshoheit wegen der Grenze bei dem hamburgischen
Dorfe Eimsbüttel, wo jeder Teil die Zugehörigkeit gewisser, die „Hohe Rade"“
benannter Feldstücke zu seinem Territorium in Anspruch nahm. Diese An-
gelegenheit schwebte seit Jahren und konnte bisher nicht ausgeglichen werden.
Ein Vorschlag Hamburgs, die streitige Frage einer schiedsrichterlichen Entscheidung
zu unterwerfen, scheiterte ebenso wie der Versuch, sie durch Austausch des
— scheint mit der Entscheidung des Bundesrats über den Berlin-Dresdener Eisenbahnstreit
zu glorreichem Dasein wieder aufgelebt zu sein. Wir haben die formelle Befugnis des
Bundesrats, in geeignetem Falle die materielle Prüfung einer nach Artikel 76 an ihn
gebrachten Streitigkeit an eine unabhängige Behörde zu verweisen, nicht bestritten, obwohl
wir es als gegen „Geist und Absicht“ jener Verfassungsbestimmung verstoßend ansehen
mußten, eine eminent staatsrechtliche Frage durch ein Zivilgericht behandeln zu lassen.
Daran aber müssen wir bei der Auslegung des Artikels 76 jedenfalls festhalten, daß die
Entscheidung der, wenn es sein muß, mit dem barbarischen Namen Austrägalinstanz zu
bezeichnenden Behörde ihre formelle, dem Artikel 76 gemäß als „Erledigung“ zu betrachtende
Wirkung erst durch nachträgliche Sanktion des Bundesrats erhalten könnte, durch welche
dieser sich den materiellen Inhalt des Austrägalvotums aneignen würde. Eine Austrägal-
instanz im Sinne des alten deutschen Bundesrechts gibt es eben nach der Reichsverfassung
nicht; an deren Stelle ist nach ausdrücklicher Bestimmung die Erledigung durch den Bundesrat
getreten. Wenn nun der Beschluß des Bundesrats, welcher den Berlin-Dresdener Eisen-
bahnstreit an das Ober-Appellationsgericht zu Lübeck verweist, von vornherein, wie die
„Post“ meldet, die streitenden Regierungen verpflichtet, sich dem „Schiedsspruche“ zu unter-
werfen, so müssen wir dies als nicht nur „Geist und Absicht“, sondern selbst den Wortlaut
des Artikels 76 verletzend bezeichnen. Ein „Schiedsgericht“, welches nicht als solches von
beiden Teilen frei anerkannt wird, ist überdies ein juristischer Widersinn.