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22. Dezember 1876 — ist die Sicherheit gegeben, daß in naher Zukunft die
Rechtspflege in ganz Deutschland nach gleichen Normen gehandhabt, daß vor
allen deutschen Gerichten nach denselben Vorschriften verfahren werden wird.
Wir sind dadurch dem Ziel der nationalen Rechtseinheit wesentlich näher gerückt.
Die gemeinsame Rechtsentwicklung aber wird in der Nation das Bewußtsein
der Zusammengehörigkeit stärken und der politischen Einheit Deutschlands
einen inneren Halt geben, wie ihn keine frühere Periode unserer Geschichte
aufweist.“
Man erinnert sich, welche starken Anfeindungen es dem hessischen Bevoll-
mächtigten zum Bundesrat eingetragen hatte, als derselbe am 28. Mai 1869
im Reichstag gewagt hatte, in einer ziemlich gleichgiltigen Frage die von der
preußischen Regierung vertretene Ansicht zu bekämpfen. 1) In der jetzigen Session
wechselten die Rollen.“
Preußen bekämpfte im Reichstag den Beschluß der Moajorität des Bundes-
rats, in der politisch allerdings bedeutsamen Frage des Sitzes des Reichsgerichts.
Die centripedalen Kräfte im Bundesrat waren für Berlin eingetreten, die
centrifugalen für Leipzig, das schließlich siegte. Die offiziöse Berliner Presse
ließ — im schroffen Gegensatz zu der überaus staatsmännischen Haltung Bis-
marcks in dieser Frage — Kassandrarufe erschallen, als ob in der That das
Reich Gefahr liefe, zu zerbröckeln, und das Wort „Reichsfeinde“ ertönte in den
verschiedenen Spielarten. Nicht unzutreffend bemerkte mit Bezug hierauf die
„Coburger Zeitung“: „Gewiß kann man darüber, ob Berlin oder Leipzig
zweckmäßiger sei, verschiedener Ansicht sein, wohl aber ist anzunehmen, daß
hüben und drüben in den maßgebenden Kreisen einzig und allein sachliche
Gründe entscheiden. Die Zeiten der Bundestagsmisére sind glücklicherweise
vorüber; es handelt sich im neuen Deutschen Reich weder um Koalitionen
gegen Preußen, noch um den thörichten Wunsch, Preußen majorisiren zu wollen.
Wenn dergleichen überhaupt ein Anachronismus ist, so sollten mindestens Staaten,
deren nationale Gesinnung durch ihre politische Vergangenheit zweifellos dasteht,
vor unwürdigen Verdächtigungen geschützt sein. Was speziell die coburg-gothaische
Stimme betrifft, so kann versichert werden, daß im Gegenteil gerade nationale
Erwägungen die Herzogliche Staatsregierung bei ihrer Abstimmung geleitet
haben.“
In wirtschaftlicher Beziehung bot unsere Session keine Lichtblicke
dar. Die Hauptströmung in der Regierung wie im Bundesrat gab die Parole
aus: Festhalten an dem bisherigen Freihandelssystem unter möglichst gering-
fügigen Konzessionen an die unter der herrschenden Not erstarkende Gegen-
partei. Dem ensprechend sanktionirte der Bundesrat den Wegfall der Eisenzölle,
und er votirte zweimal ein Gesetz über die Einführung von Ausgleichungs-
1) ef. Bd. II. S. 44.