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stärker als bisher zu betonen.!) „In unserer Zollpolitik“ — bemerkte Camphausen
im Reichstag — „soll eine Umkehr nicht eintreten, aber eine kleine Abweichung
von dem, was wir in der Vergangenheit gethan haben und thun mußten, soll
meiner Ansicht nach allerdings eintreten."
Den Gesetzesvorschlag wegen Erhebung von Ausgleichungsabgaben acceptirte
auch Bismarck. Während er aber die Vorlage nur als eine „Abschlagszahlung“
betrachtete, war sie in den Augen Camphausens ein Mittel, um die Fahne des
Freihandels noch lange über Bord zu halten. Die von dem Finanzminister zur
Verteidigung der Vorlage gehaltenen Reden können denn auch als die letzten
Zuckungen der offiziellen Freihandelsrichtung in Deutschland bezeichnet werden.
Während Camphausen sich in der Reichstagssitzung vom 23. April 1877 gegen
jede „Hinneigung zu den Schutzzöllen“ verwahrte, bemerkte er in dem nächsten
Satze zum Erstaunen des Zentrums: „Ich stehe auf dem Standpunkte, daß ich
nicht von dem radikalen Freihandelssystem ausgehe, daß ich nicht der Meinung bin,
Verhältnisse, die sich unter der bestehenden Gesetzgebung entwickelt haben, dürften
schonungslos dem Freihandelsprinzip zu liebe über den Haufen geworfen werden.“
Und zwei Tage vorher hatte er von derselben Stelle aus bemerkt: „Die
Frage kann nur die sein: Vermag die deutsche Eisenindustrie den Kampf mit
dem Auslande auf die Dauer zu bestehen? Ich bin der Ansicht, daß sie das
vermag, und daß sie das um so besser wird thun können, wenn die Regierungen
darauf Bedacht nehmen, der Ueberprodultion des Inlandes durch Erweiterung
der Absatzgebiete den wünschenswerten Abzug zu verschaffen. Dagegen mit einem
Satz, der die Existenz der Industrie gleichsam als eine gleichgiltige Frage be-
trachtet, als eine Frage, deren Beantwortung nach der einen oder andern Seite
hin mit einer gewissen Gleichmütigkeit aufgenommen werden könnte — zu einer
solchen Anschauung würde ich mich niemals bekennen mögen. Ich habe nie zu
den radikalen Freihändlern gehört, ich hoffe mich ebenso wenig zu den entschie-
denen Schutzzöllnern zählen zu dürfen.“
Selbst den Antrag Preußens, betreffend die Veranstaltung einer Untersuchung
über die Lage der deutschen Eisenindustrie (Februar 1878), half Camphausen
noch an den Bundesrat bringen.
2. Die Steuerreform. Nach Delbrücks Abgang hatte Bismarck erklärt,
„in finanziellen Dingen fortan zur Fahne des preußischen Finanzrechts halten
zu wollen“. (Reichstagsrede vom 22. Februar 1878.)
1) Die beachtenswerte Stelle der Reichstagsrede Camphausens am 12. Dezember 1876
lautet: „Was die Zukunft unserer Handelspolitik betrifft, so bin ich und ist keiner der
Bevollmächtigten eines Partikularstaates in der Lage, sich darüber zu äußern; es würde
dies vermessen sein. Wenn ich mich aber nicht sehr täusche, so wird nicht im Widerstreit mit
der Vergangenheit — denn auch früher sind diese Fälle bereits ins Auge gefaßt worden —
in der Zukunft die nationale Seite unserer Stellung stärker betont werden als bisher, und
ich hoffe, daß Sie uns dazu Ihren Beistand nicht versagen können.“