Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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den Vertrauensmann des Kanzlers in Hobrechts Arbeitszimmer. Hier fand 
derselbe auf dem Sofatisch das letzte Heft der „Preußischen Jahrbücher“ auf- 
geschlagen, und zwar bei einem Treitschkeschen Essay über die Entstehung des 
Zollvereins. Tiedemann las die kurze, aber lebendige Schilderung der ersten 
Wirksamkeit des Finanzministers v. Motz. Nach Verlauf einer kleinen halben 
Stunde erschien Hobrecht in Frack und weißer Binde, den Hut im Nacken, im 
leicht geröteten Gesicht einen ungewöhnlich lustigen Ausdruck. Haltung und 
Sprache ließen leicht erkennen, daß er aus einer sehr fröhlichen Gesellschaft kam. 
Hobrecht war natürlich höchst erstaunt über die Anwesenheit Tiedemanns zu so 
später Nachtstunde, und dessen Erstaunen wich nicht, als der Unterhändler des 
Kanzlers ihm möglichst unbefangen sagte, er sei gekommen, um bei ihm noch 
eine Zigarre zu rauchen und eine Flasche Selterswasser zu trinken. Beides 
wurde herbeigeschafft, Hobrecht entledigte sich seines Gesellschaftsanzugs und 
setzte sich dann behaglich und neugierig Tiedemann gegenüber, mehr und mehr 
zu der Ueberzeugung kommend, daß derselbe ihm noch etwas Besonderes mitzu- 
teilen habe. 
Als Hobrecht endlich mit einer direkten Frage herausrückte, antwortete 
Tiedemann: „Ja, ich wollte Sie auch beiläufig fragen, ob Sie nicht Lust 
haben, Finanzminister zu werden."“ 
Hobrecht sah Tiedemann starr an. Er hielt das Ganze anfänglich für 
einen Scherz und wußte offenbar nicht, wie er ihn aufnehmen sollte. Als 
der Rat des Kanzlers indessen seine Frage kaltblütig wiederholte und dabei 
hinzufügte, der Kanzler habe ihn ausdrücklich beauftragt, noch in dieser Nacht 
mit ihm zu verhandeln, sprang er erregt auf, lief im Zimmer umher und 
rief hoch aufatmend: „Diese Sache könnte einen ja mit einemmal nüchtern 
machen.“ 
Tiedemann sagte, indem er auf die „Preußischen Jahrbücher“ hinwies, 
daß er zu seiner Freude ersehe, wie er heute noch die Gesichtspunkte der 
preußischen Finanzpolitik studirt habe; er müsse dies als ein gutes Omen für 
den Erfolg seiner Mission ansehen. 
Nach einer Weile fragte Hobrecht Tiedemann, wann er denselben am 
kommenden Vormittag (22.) sprechen könne. Tiedemann antwortete, daß er 
bis 12 Uhr zu Hause sein werde. 
„Nun,“ erwiderte Hobrecht, „ich werde mir die Sache beschlafen. Wenn 
ich aber morgen im Kater noch so denke wie heute in der Besoffenheit, so 
sage ich Iaa“. Also auf Wiedersehen morgen!“ 
Als Tiedemann zum Fürsten Bismarck zurückkehrte, lag dieser bereits im 
Bett. Er rief seinem Rat entgegen: „Nun, wie steht's? Haben wir einen 
neuen Minister?"“ 
Tiedemann antwortete, Hobrecht habe erklärt, wenn er morgen im Kater 
so dächte wie heute nacht in der Besoffenheit, so wolle er die Finanzen
	        
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