Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Ein nach der damaligen kritischen Sachlage nicht hoch genug anzuschlagendes 
Verdienst. 
Graf Otto zu Stolberg hat quantitativ und qualitativ ein weit größeres 
„Maß von politischer und administrativer Arbeit geleistet, als nach außenhin 
bekannt geworden ist. Je bescheidener er selbst von seinen Leistungen dachte, 
desto weniger ließ er sie nach außen hervortreten. Ich könnte dies mit ganz 
sprechenden Belegen darthun; aber dazu reicht meine Zeit nicht aus. Ich will 
nur folgendes hervorheben: 
Er hatte volles Verständnis für die Notwendigkeit einer arbeiterfreundlichen 
Gesetzgebung (Krankenversicherung, Unfallversicherung u. s. w.) als positives 
Korrelat des bloß repressiven Sozialistengesetzes. Das umfangreiche Votum, in 
welchem er diese Ideen zuerst vertrat und die gesetzgeberische Initiative auf 
diesem Gebiete anregte, entsprach durchaus seinen wohl erwogenen Gedanken und 
den von ihm erteilten Direktiven. Das Votum muß in den Akten des Staats- 
ministeriums noch vorhanden sein. Wenn ich nicht sehr irre, erfreuten sich die 
Grundgedanken desselben auch der Billigung des Fürsten Bismarck. 
Aeußerst wichtig und fruchtbar war die persönliche Einwirkung des Grafen 
Stolberg auf die während der Jahre 1879 bis 1881 wiederholt im Ministerium 
und in den höheren Reichsämtern aktuell gewordenen Personalfragen. Das 
wurde auch im Staatsministerium voll anerkannt, und das Bedauern der Minister 
über seinen Rücktritt entsprach durchaus dem weitreichenden Einflusse, den er 
auf diesem Gebiet — natürlich immer in voller Hingebung an den Fürsten 
Bismarck und dessen Auffassungen — ausgeübt hatte. Aber auch sonst votirte 
Graf Stolberg in allen Fragen, welche damals das Staatsministerium be- 
schäftigten, und zwar immer schriftlich, ausführlich und gründlich auf Grund 
sorgfältiger Informationen und gewissenhafter Erwägung. Innerhalb des 
Staatsministeriums war sein Einfluß dadurch während seines Vizepräsidiums 
sehr erheblich. 
Nicht minder bedeutsam war sein Rat bei den Verhandlungen über die 
Beilegung des Kulturkampfs. Er war ein überzeugter evangelischer Christ; 
aber er hatte die Notwendigkeit der besonnenen und erfolgreichen Durchführung 
der vom Fürsten Bismarck als möglich und wünschenswert erkannten, auf 
Wiederherstellung erträglicher kirchlicher Friedenszustände abzielenden An- 
knüpfungen klar erkannt, und er hat die damaligen Verhandlungen mit großer 
Weisheit und Besonnenheit gefördert. Namentlich auch gegen Ende des 
Jahres 1879, als er den verstorbenen Minister v. Bülow zugleich im Aus- 
wärtigen Amt vertrat. Damals war seine Arbeitslast kolossal; er kam fast nie 
vor zwei Uhr nachts ins Bett. Sein Arbeitszimmer glich damals einem Tauben= 
schlage, und er sagte, das gehe täglich so von früh an bis in die Nacht hinein. 
Auch davon hat er nie viel Aufhebens gemacht, und doch stellte jene Zeit an 
ihn leiblich und geistig Zumutungen persönlicher Aufopferung, die über das
	        
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