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der bayerische Gesandte sofort die Gesellschaft verlassen habe, ist insofern nicht
richtig, als er noch längere Zeit auf den Wagen wartete. Sobald dieser herbei—
geholt war, verließ er mit seiner Gemahlin die Gesellschaft und gab seinen
Entschluß, in keinem Falle auf seinem hiesigen Posten zu verweilen, noch an
demselben Tage nach München hin zu erkennen. Bekannten gegenüber erklärte
derselbe, jeder persönliche Verkehr zwischen ihm und dem Reichskanzler wäre
fortan ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb verstände sich sein Fortgang
von Berlin von selbst.
Rudharts Haltung bei der ihm zu teil gewordenen Apostrophe des
Kanzlers war die denkbar unglücklichste. Er hatte buchstäblich den Kopf verloren
und ließ stillschweigend das ganze Hagelwetter über sich ergehen. Statt sogleich die
Soirée zu verlassen, blieb er daselbst noch eine halbe Stunde lang, der Gegen-
stand des allgemeinen Gesprächs.1) Es bestätigte sich eben bei dieser Gelegenheit
aufs neue, welche eigene Bewandtnis es mitunter mit den politischen Agenten
hat, die ihrem Posten nur äußerlich, aber nicht innerlich gewachsen sind. Sehr
treffend äußerte sich Bismarck über diese Kategorie von sogen. Diplomaten: „Durch
Jahre sind sie nicht viel mehr als dekorirte Statisten und Briefträger, welche
zwischen guten Diners und bösartigem Klatsch dahinwandeln; und dann kommt
einmal eine Stunde, wo alle Eigenschaften eines großen und starken Charakters
von ihnen gefordert werden, und wo die Ehre ihres Königs und ihrer Nation
an einigen Worten ihres lächelnden Mundes hängt. Wenige Menschen gibt
es, die jahrelang bequem Höflinge und darauf im Augenblick Helden zu sein
vermögen.“ Nicht nur Bayern, selbst das Deutsche Reich hat die Wahrheit
dieses Satzes erfahren müssen, und deshalb ist es fast Brauch geworden, bei
allen ernsten und schweren Geschäften in der Fremde neben die vorhandenen
Gesandten außerordentliche Bevollmächtigte aus der Heimat zu stellen.
Der Fall Rudhart machte großes Aufsehen und bildete das Haupt-
gesprächsthema auf der Soirée. Bismarck selbst ging über die Hamburger
Streitfrage kurz hinweg, indem er bemerkte, erst hören zu wollen, was der
Bundesrat davon halte. In den nächsten Tagen wurde der Fall auch in der
Presse eifrig besprochen und in der Bismarck feindlichen und sensationslustigen
versucht, den Thatbestand in ein möglichst grelles Licht zu setzen. 2)
1) Nach L. Buchers Ansicht hätte sich der Gesandte durch einen Vertrauensmann an
Bismarck wenden sollen, um Aufklärungen zu verlangen, die ihm zur Zufriedenheit erteilt
worden wären. Vgl. mein Werk: „Ein Achtundvierziger. L. Buchers Leben und Werke“,
Bd. III, S. 349.
2) Der oben als gut unterrichtet bezeichnete Münchener Korrespondent der „Augs-
burger Abendzeitung“ äußerte sich über die Affaire: „Die Aeußerung war indes keines-
wegs so scharf, wie sie absichtlich in verschiedenen Blättern mitgeteilt wurde, sondern
beschränkte sich darauf, daß der Reichskanzler sich über den Gesandten bei dessen Regierung
beschweren werde, weil er gegen deren Intentionen, die ihm, dem Reichskanzler, wohlbekannt
seien, gestimmt habe, was ihm unzulässig und unerlaubt erscheine. Daß dieser Tadel dem