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schilderte er denselben zu deren Ueberraschung!) die peinliche Scene, die sich am
vorhergehenden Abend im Kanzlerpalais abgespielt hatte. Rudhart fügte bei,
er habe nach der ihm zu teil gewordenen Behandlung sofort in München um
seine Entlassung gebeten, da es ihm nicht mehr möglich sei, mit dem Kanzler
dienstlich zu verkehren; deshalb bat er auch die beiden Bevollmächtigten Herrmann
und Schmidtkonz, heute ihn in der Ausschußsitzung zu vertreten.
Am 7. Mai 1880 erzählte man sich in Bundesratskreisen, der bayerische
Gesandte v. Rudhart werde sein Gesuch um Abberufung von hier erneuern,
falls der König ihn bestimmen sollte, von seinem Gesuche abzustehen. Später
meldete die „Köln. Ztg.“ folgendes: „Herr v. Rudhart hat allerdings über
den auffallenden Vorgang in der Abendgesellschaft des Reichskanzlers sofort
nach München berichtet, aber sein Bericht endigte mit keinem Entlassungsgesuche,
sondern mit dem Dilemma, entweder billige die bayerische Regierung sein
Verfahren nicht, und dann bäte er um eine anderweitige Bestimmung, oder sie
sei mit ihm einverstanden, und dann dürfe er hoffen, daß seine Regierung ihn
verteidigen werde.“ Wie dem auch sei — Thatsache ist: Rudhart setzte keinen
Schritt mehr in den Bundesrat, nahm vielmehr bald Urlaub und traf erst
nach Ablauf eines halben Jahres am 13. November 1880 wieder aus München
in Berlin ein, um sein Abberufungsschreiben zu überreichen. Diese Formalität
vollzog sich am 16. November unter gleichzeitiger Verleihung des Kronen-Ordens
I. Klasse. Eine weitere Aufmerksamkeit wurde dem scheidenden Gesandten
dadurch zu teil, daß der Kaiser sich am 18. November zwischen 2 und 3 Uhr
im Kaiserhof anmelden ließ, um Frau v. Rudhart einen Besuch abzustatten.
Rudhart kam demnächst als bayerischer Gesandter nach Petersburg, von
keinem sehnlicheren Wunsche beseelt als dem, die nächste in Rom frei werdende
bayerische Gesandtschaftsstelle zu erlangen. Als dieselbe nicht ihm sondern
seinem Petersburger Gesandtschaftssekretär verliehen wurde, war er tiefbetrübt.
Auf dem Wege von der Eisenbahn nach erfolgter Verabschiedung von dem nach
dem Süden reisenden Freiherrn v. Tautphoeus wurde er von einem Schlag-
anfall getroffen, von dem er sich nicht mehr erholen konnte.
Ober-Regierungsrat Freiherr v. Raesfeldt?)
(geboren 2. Februar 1835)
wurde am 1. November 1877 zum stellvertretenden Bevollmächtigten und 1879
zum wirklichen Bevollmächtigten zum Bundesrat ernannt; bald darauf zum
1) Regierungsrat Herrmann und Ober-Zollrat Schmidtkonz wußten noch nichts von
dem Vorgefallenen, da infolge eines neuerdings eingetretenen Brauchs die stellvertreten-
den Bevollmächtigten zum Bundesrat nicht mehr zu den parlamentarischen Soiréen des
Kanzlers geladen zu werden pflegten.
2) Ferdinand Freiherr v. Raesfeldt widmete sich, nachdem er im Jahre 1856 das
Studium der Rechte an der Universität München absolvirt und 1858 die praktische Konkurs-