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Versailles, 31. Oktober 1870.
„Gestern hatte ich den ganzen Vormittag im Spezialauftrag des Großherzogs
mit Bismarck und Roon über den Kaisertitel und den Abschluß einer über die
Bundesverfassung hinausgehenden Militärkonvention zu verhandeln. Beides ist
zu meinem Erstaunen gelungen. Die Kaiserwürde scheint mir eine beschlossene
Sache, und unsere Militärkonvention können wir sogleich abschließen, wenn ein
geeigneter militärischer Unterhändler zu entsenden ist. Auch einige nach Karlsruhe
zu verbringende Kriegsbeute ist uns zugesagt; passe auf, daß Du den Einzug
siehst. Die Aufgabe, von Bismarck bestimmte Antworten zu erzielen, hatte mir
etwas schwül gemacht. Ich ebnete mir den Weg durch Ueberreichung einer
prachtvoll gearbeiteten, mit Diamanten geschmückten goldenen Feder, welche der
Fabrikant Bissinger in Pforzheim Bismarck zur Unterzeichnung des Friedens
schickte. Er hatte wirklich eine naive Freude daran, und ich freute mich dann
seiner ungemein präzisen Geschäftsformen, nachdem ich auf seine ersten allgemeinen
Antworten meine bestimmten Fragen wiederholte.“
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Versailles, 5. November 1870.
„Noch am vorigen Sonntag, als ich mit Bismarck sprach, ging dieser von
der Ansicht aus, Bayern werde unter annehmbaren Bedingungen kapituliren,
er setzte aber dafür einen längeren Termin. Auf meine Bemerkung, eine allzu
lange Frist könne den Widerstand Bayerns möglicherweise stärken und der
sofortige Abschluß mit uns und Württemberg sei vielleicht der sicherste Weg
zum Ziel, hatte er nur ein Lächeln, aus dem sich nichts schließen ließ. Heute
hat sich aber nun möglicherweise das Bild wieder total geändert. Wir, d. h. die
sämtlichen hier anwesenden Minister, waren heute zu Bismarck geladen, um
Mitteilungen über die Verhandlungen mit Thiers zu hören. Er trug dieselben
höchst anschaulich und lebendig, aber doch so vor, daß man beim Zusammenhalt
seines Referats mit seinen Konklusionen nicht recht weiß, was eigentlich los ist.
Thiers verhandelt über einen Waffenstillstand auf fünfundzwanzig Tage, um
die Wahl einer Constituante, welche einen Frieden sanktioniren könnte, zu
ermöglichen. Auch er scheint dabei von den tollsten französischen Illusionen
befangen — Bismarck erzählte höchst ergötzlich, wie selbst Thiers nicht außer
Zweifel zu sein scheine, ob es im preußischen Heer nicht eine halbwilde Völker-
schaft von Ulanen gebe. Die Verhandlungen scheinen daran gescheitert, 1) daß
Thiers Verproviantirung von Paris für die Dauer des Waffenstillstands ver-
langte, die nicht gewährt werden konnte. Wie dem nun sei, Bismarck machte
in seinem Vortrag plötzlich eine Wendung, vielleicht lasse sich mit Thiers eher
über Frieden als über Waffenstillstand verhandeln und es sei ihm von Interesse,
1) Nach einer späteren Notiz von Jolly war Bismarck über das Scheitern der ersten
Verhandlung mit Thiers, „so sehr er natürlich den Friedfertigen spielen muß, höchlich
erfreut.“