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legenheit der Vorlage des Gesetzes über die Presse und in der Session 1875
bis 1876 durch die Abänderungsvorschläge zum Strafgesetzbuch. Diese Vor-
schläge hatten die Zustimmung des Reichstag nicht gefunden; die Frage aber,
ob es nicht besonderer Maßnahmen bedürfe, um den Ausschreitungen und der
weiteren Verbreitung der Sozialdemokratie entgegenzutreten, war damit nicht
erledigt worden; dieselbe war vielmehr fortdauernd eingehend erwogen und aus
Anlaß des am 11. Mai von dem Klempnergesellen Hödel gegen das Leben
des Kaisers verübten Attentats wiederum in den Vordergrund getreten.
Die verbündeten Regierungen glaubten diese Frage bejahen zu müssen.
Der von dem Bundesrat beschlossene Gesetzentwurf wurde jedoch von dem
Reichstag am 24. Mai mit 251 gegen 57 Stimmen abgelehnt. Es bedurfte
des am 2. Juni 1878 erfolgten zweiten furchtbaren Mordversuchs gegen den
Kaiser (Dr. Nobiling) um von der Volksvertretung wirksamere Waffen zur
Abwehr der sozialdemokratischen Ausschreitungen zu erlangen. Es ist eine
müßige Frage, ob der damals gewählte Reichstag die wiederholte Vorlage des
Sozialistengesetzes kurze Zeit nach der ersten Ablehnung angenommen hätte.
Bismarck ließ es darauf nicht ankommen. In dem richtigen Vorgefühl, daß aus
den Wahlurnen ein Reichstag hervorgehen werde, der bereit war, ihn auch hin-
sichtlich seiner übrigen Projekte auf dem Gebiete der inneren und wirtschaftlichen
Politik zu unterstützen, beantragte er beim Bundesrat die Auflösung des Reichs-
tags, und er erreichte damit die Zertrümmerung jener Parteien, die es in der
letzten Zeit förmlich darauf abgesehen hatten, ihm Steine zwischen die Füße zu
werfen.
Ein guter Schritt vorwärts in der Reichsverwaltung erfolgte durch die
Annahme der Vorlage wegen der Stellvertretung des Reichskanzlers.
Eine Zeit lang hatte es den Anschein, die Vorlage werde im Bundesrat auf
erheblichen Widerstand stoßen und möglicherweise zu tiefgehenden Schwierigkeiten
zwischen den verschiedenen Reichsgewalten führen. Diese Voraussicht bestätigte
sich glücklicherweise nicht: die Vorlage wurde in ihrer großen praktischen Be-
deutung von sämtlichen Bundesregierungen erkannt, was sich auch in der
Beteiligung der Minister der meisten Staaten an der Beratung im Bundesrat
bethätigte.
Das Gesetz gab nach den Worten eines liberalen Blattes zunächst die
Möglichkeit, den Fürsten Bismarck dem Reiche zu erhalten und ihm eine
Schonung seiner Kräfte zu gestatten. Das Gesetz ermöglichte überhaupt einen
guten Fortgang der Geschäfte und der Entwicklung der Gesetzgebung für die
noch vorhandenen Lücken, ohne die harmonische Einheit zu gefährden. Das
Gesetz beseitigte ferner die Schwierigkeiten, welche von seiten der Verfassung der
Schaffung selbständiger Reichs-Verwaltungsressorts bisher im Wege standen.
Endlich wurde ermöglicht, daß die notwendige Verbindung zwischen dem
preußischen Ministerium und insbesondere dem preußischen Finanzministerium