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die Ansichten der Herren, namentlich über Landabtretungen, zu hören. Natürlich
sprachen sich alle dafür aus — die Grenzen blieben wohlweislich nur in all-
gemeinen Sätzen über militärische Sicherheit umschrieben — und nun entwickelte
Bismarck den lange gehegten Vorsatz seines Königs, seine sämtlichen hohen
Verbündeten zum Friedensschluß und zur Besiegelung der bis dahin etwa unter
den Ministern getroffenen Vereinbarungen über die deutsche Verfassungsfrage
hierher einzuladen. Da alle, mit Ausnahme von Bayerns Ludwig, schon mehr
oder minder bestimmt zugesagt hatten, könnte wohl die ganze Scene nur den
Zweck gehabt haben, auf diesen einen sanften Druck auszuüben.“
Versailles, 11. November 1870.
„Bismarck, dessen neuliche feierliche Beratungsscene mit uns, wie ich gleich
vermutete und wie der Erfolg bestätigte, durchaus nicht den aussichtslosen Ver-
handlungen mit Thiers galt, sondern wohl nur ein Mittel abgeben sollte, um
den Bayernkönig zum Hierherkommen zu nötigen, hält, obgleich dies nach
Münchener Nachrichten aussichtslos scheint, doch an der Hoffnung fest, Bayern
ohne wirkliche materielle Konzessionen hereinzuziehen. Uebrigens will er nach
einer Aeußerung an den Großherzog jedenfalls, d. h. auch wenn Bayern vorerst
nicht mitthut, Kaiser und Reich machen. Er ist ein wirklich höchst merkwürdiger
Mann, um so anziehender, je öfter man ihn sieht. Seine neulichen Auseinander-
setzungen waren ein Meisterstück von liebenswürdiger Lebendigkeit und Offenheit,
und diese anscheinend ganz naive, aber, wie mir scheint, doch sehr berechnete
Offenheit, ist sein Hauptmittel, um sich nicht in die Karten sehen zu lassen,
indem er mit höchster Unschuld alles mögliche ausplaudert und nur das Ent-
scheidende verschweigt oder unter anderem unkenntlich macht."“
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Versailles, 18. November 1870.
„Am Dienstag den 15. haben wir also, wie ich Dir schon voraus anzeigte,
und wie Du mittlerweile aus der „Karlsruher Zeitung“ als vollendete That-
sache erfahren haben wirst, die Vereinbarung über unseren und Hessens Zutritt
zu dem einstweilen in den „Deutschen Bund“ umgetauften Norddeutschen Bund
unterschrieben und untersiegelt. Ich hatte mir den Augenblick, in welchem dieses
seit Jahren von mir mit so mancher Mühe erstrebte Ziel erreicht sei, brillanter
gedacht, als er in Wirklichkeit war; er war mir nämlich infolge meines alten
mit ziemlicher Heftigkeit aufgetretenen Uebels nichts weniger als reizend, und
ich hatte stets nur den einen Wunsch im Kopf, ich wollte, es wäre vorüber.
Und als wir nach dreistündiger ermüdender Diskussion über allerlei Nebenfragen
endlich zu Bismarck zur Unterschrift kamen, klagte auch er über Unwohlsein: seine
Galle sei ruinirt, und so schlage ihm jeder Aerger auf den Magen. Schließlich
zogen wir aber doch froh des erreichten Ziels nach Hause.“
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