— 44 —
werde scheitern; das deutsche Lager fühlte sich sicher, das herrliche Ziel werde
morgen erreicht sein, trotz der letzten schmerzlichen Zuckungen des machtlosen
Gegners; die Franzosen wahrten mühsam die Fassung. Gebe Gott, daß nie
ein deutscher Staatsmann Aehnliches zu erleben habe. — Gestern machte Bismarck
nach der Rückkunft der Franzosen die Sache in zwei bis drei Stunden mit
diesen allein ab; wir wohnten nur noch der Unterzeichnung bei, nachdem er
uns vorher von dem schließlichen Verlauf der Verhandlung unterrichtet hatte.
Er wollte jedenfalls gestern abschließen, weil er nach seinen früheren kategorischen
Erklärungen den Waffenstillstand nicht mehr verlängern konnte und täglich eine
ungeschickte Einmischung Englands ohne sachlichen Zweck, nur zum Frommen
seiner parlamentarischen Diskussionen, fürchtete. Bismarck begnügte sich deshalb
damit, daß in diesem Jahre Frankreich nur eine Milliarde, den Rest binnen drei
Jahren zu zahlen hat, legte dabei aber den Franzosen solche Daumenschrauben
an, daß sie sicher in ihrem eigenen Interesse früher zahlen werden. Er war
mit Thiers und dessen kleinlichen Nergeleien sehr unzufrieden, hat ihn aber
total besiegt; die Franzosen hätten bei geschickterer Operation bessere Aus-
führungsbestimmungen erhalten können. Noch bei der Unterzeichnung, die
Bismarck triumphirend mit der vorher den Franzosen als patriotisches Geschenk
aus Pforzheim vorgezeigten goldenen Feder vollzog, spielte eine höchst ergötzliche
Scene. Die süddeutschen Minister unterzeichneten mit der Bemerkung, sie treten
dem Vertrag besonders bei, mit Rücksicht darauf, daß die süddeutschen Staaten
ursprünglich selbständig Krieg führten. Thiers schlug eine etwas abweichende, mehr
in partikularistischem Sinn gehaltene Fassung vor. Bismarck: „Sie zerpflücken
mir ja wieder die deutsche Einheit.“ Thiers: ‚Ah, c'est nous qui l'avons
kaite.“ Bismarck, achselzuckend: Peut-étre. Gestern nachmittag 4 Uhr
12 Minuten war der glorreichste Vertrag, den Deutschland geschlossen, unter-
zeichnet. Die Franzosen eilten sofort weg, Thiers, den Bismarck beim Abschied
wegen aller ungern ihm bereiteten Qualen verbindlichst um Entschuldigung bat,
in erbittertem Ungestüm, Favre in stillem Schmerz.“
k
2. März 1871, abends.
„Hauptereignis des 28. Februar war ein von Bismarck den Mitgliedern
seines Ministeriums und uns in St. Germain gegebenes Diner. Der Mann
war dabei wieder von wunderbarer Liebenswürdigkeit. In dem stundenlangen
Gespräch über Tische hörte ich von ihm die interessante Thatsache, daß die
Schlacht von Gravelotte infolge befehlswidriger Gefechtslust von Steinmetz einen
Tag früher geschlagen wurde, als beabsichtigt war, und daß sie deshalb so
blutig wurde. Interessanter waren seine allgemeinen politischen Reflexionen,
wenn man seine aus der frischesten Anschauung hervorsprudelnden Bemerkungen
so nennen darf und mag. Sie laufen wesentlich darauf hinaus, große politische
Aenderungen ließen sich nicht machen, man müsse den natürlichen Lauf der