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größeren Staaten schien ihm verfehlt, weil er meinte, diese würden sich berufen
glauben, das Recht ihrer Heimat zu verteidigen, und daher schwer einigen. Die
sogleich sichtbare Gründlichkeit der Kommission und die augenfällige Gleich—
giltigkeit Bismarcks gegen die Sache erfüllten ihn mit der Sorge, der Entwurf
werde erst nach dem Abgang dieses Staatsmanns unter einem weniger mäch-
tigen Reichskanzler zu stande kommen, der den partikularistischen Widerstand
gegen das Gesetzbuch nicht werde überwinden können. Er erwog sogar schon
die Behandlung des neuen Rechts auf den Universitäten und fürchtete, die
Professoren würden ihm nicht den gebührenden Rang einräumen wollen und
dadurch die Regierungen zu einem Eingreifen nötigen, das die Wissenschaftlichkeit
des Unterrichts gefährden könne.
Als Referent des Bundesrats hatte er sich mit dem Antrag des Reichs-
tags auf Gewährung von Diäten an seine Mitglieder zu befassen. Er hielt
dem Verlangen entgegen, daß die Versagung von Diäten das einzige Gegen-
gewicht gegen das allgemeine Wahlrecht und das einzige Unterhandlungsmittel
sei, um in Zukunft einmal zu einem besseren Wahlsystem zu gelangen. Die
Gewährung von Reiseentschädigungen hielt er — im Gegensatz zu freier Eisen-
bahnfahrt — für ein Entgegenkommen gegen den Antrag auf Tagegelder, das
deren Bewilligung nach sich ziehen müsse. 1)
Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Freydorf
gehörte in den beiden ersten, in diesem Bande behandelten Sessionen (bis 1876)
dem Bundesrat an, und zwar nicht bloß nominell, sondern aktiv; denn ihm
lag daran, das Referat über einen Teil der Justizgesetze, das er übernommen
hatte, im Bundesrat und im Reichstag selbst zu vertreten, und auch sonst mit
der Reichsregierung in Fühlung zu bleiben. Mit Bismarck stand Freydorf auf
dem besten Fuße, Delbrück war er weniger sympathisch; dies beruhte aber
sicherlich auf Gegenseitigkeit, ihre Naturen waren zu verschieden. Freydorf war
durch und durch poetisch angelegt, Delbrück war der kalte Verstandesmensch, der sich
nur bei den Akten und Staatsgeschäften glücklich schätzte und für das, was
Freydorf noch nebenbei schätzte, absolut kein Verständnis hatte. Wenn Freydorf
1) Aus dem Werke über Jolly erfahren wir noch, daß sich Bismarck seinerzeit von
der badischen Regierung eine Darstellung ihrer kirchenpolitischen Bestimmungen und Er-
sahrungen erbat, um dieselben bei der preußischen Kulturkampfgesetzgebung benützen zu
können, und daß Jolly im Gegensatz zu dem Handelsminister Turban und der Mehrheit
der badischen Politiker ein Freund des Bismarckschen Gedankens war, die Verwaltung der
deutschen Bahnen durch ihren Ankauf für das Reich einheitlich zu gestalten. Ende 1875
und 1876 war aus Anlaß der badischen Kirchen= und Schulpolitik die Spannung im
Landtag und beim Großherzog gegen Jolly stark genug, um den Fürsten Bismarck zu
veranlassen, Schritle zur Befestigung der Stellung Jollys zu thun. Bismarcks Entlassung
bereitete Jolly den tiefsten Schmerz. Er nannte es unbegreiflich, daß der Kaiser eine Macht
zerstören mochte, die er zu erben berufen war.