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„Heute aß ich zur Vorfeier des Geburtstages unserer Großherzogin bei der
Königin. Ich hatte die Ehre, neben Ihr zu sitzen, und Sie forderte mich auf,
auf das Wohl der Großherzogin anzustoßen und zu trinken.
„Morgen kommen unsere Verträge im Reichstage vor. Ich hatte bis jetzt
nicht Zeit, einer Sitzung anzuwohnen, muß aber morgen zuhören."“
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Berlin, den 3. Dezember 1870.
„Ich muß leider nun einmal aushalten, bis die Verträge mit allen süd-
deutschen Staaten geschlossen und endgiltig festgestellt sind. Endlich ist gestern
abend der bayerische Minister v. Lutz angekommen, und wir werden morgen
Mittag 1 Uhr die erste Konferenz mit ihm haben. Seit gestern habe ich weniger
zu schreiben, muß aber viel in Reichstagssitzungen und Besuchsgängen unterwegs
sein und Zeit verlieren.
„In der Reichstagssitzung redeten sie heute vier Stunden über Interpellationen;
die Verträge über den Deutschen Bund kommen nun erst übermorgen an die Reihe."“
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Berlin, den 4. Dezember 1870.
„Heute hatte ich mich zu einer Sitzung über den bayerischen Vertrag vor-
zubereiten, die von 1 bis halb 4 Uhr dauerte; dann war über das Ergebnis
zu telegraphieren. Dem bayerischen Vertrag werden wir zustimmen, und es ist
kein Zweifel mehr, daß derselbe, wie alle andern, im Reichstag angenommen wird.
„Als Stuttgart beim Abschluß des Vertrags über den Eintritt in den
Deutschen Bund flaggte, fragte eine Frau auf der Straße die andere: Was
ist? Ist Paris über?? — „Nein, war die Antwort, „aber Württemberg hat
kapituliert!“
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Berlin, den 5. Dezember 1870.
„Als ich heute nach 2 Uhr, machdem ich meinen Bericht zu Ende geschrieben,
in den Reichstag ging, fand ich die Stadt beflaggt und las die Telegramme
über die Einnahme einer Vorstadt von Orléans. Außerdem hatte Delbrück
im Reichstag den Brief des Königs von Bayern an den König von Preußen
wegen Uebertragung der Kaiserwürde verlesen. Er machte nicht den erwar-
teten Effekt.“
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Berlin, den 6. Dezember 1870.
„Der Historiker Ranke dahier traf kürzlich Thiers auf dessen Rundreise in
Wien. Thiers deklamierte das bekannte Thema, daß nur der Kaiser den Krieg