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Berlin, den 7. Dezember 1874.
„Vorgestern ging ich zur Reichstagssoirée bei Bismarck, wo ich erst 10¼ Uhr
eintraf, dafür auch länger blieb und mit der Damengesellschaft an dem bekannten
langen Buffettisch soupierte. Im Arbeitszimmer des Fürsten lagen die Pistolen
auf, mit welchen Blind-Cohen (1866) und Kullmann (1874) auf Bismarck
geschossen hatten. Bismarck erzählte den Umstehenden (ich war nicht dabei) sehr
lebendig und interessant die beiden Erlebnisse. Die Damen des diplomatischen
Corps und der preußischen Minister waren zahllreich erschienen.“
Berlin, den 9. Dezember 1874.
„Gestern sah ich im Friedrich Wilhelmstädtischen Theater „Die schöne Helena“
von Offenbach, frivoles, dummes Stück, an Witz weit hinter dem „Orpheus
in der Unterwelt“ desselben Komponisten zurückstehend. Die Titelrolle gab die
beim Publikum beliebte Mila Roeder, blonde Schöne mit angeblich griechischem
Profil und Formen. Sie ist weder in Gesang noch Spiel bedeutend, machte
die Sache aber nett. Generalfeldmarschall v. Steinmetz machte ihr seinerzeit
die Cour. Der Fürst von Hohenzollern lud sie als distinguierte Persönlichkeit
und Sängerin zum Verlobungs= oder Hochzeitfest seiner Tochter ein. Dort
war auch eine zweite frühere Angebetete des Feldmarschalls, jetzt Frau eines
Sekretärs des Fürsten, eine Oesterreicherin; Steinmetz war mit seiner soeben
eroberten jungen Gemahlin gleichfalls geladen. Diese und die junge Frau
Sekretär kannten sich schon, waren begierig, die dritte im Bunde kennen zu
lernen, stellten sich derselben in einem Nebensalon vor und unterhielten sich,
nachdem auch der alte General hinzugekommen oder dort schon vorgefunden
war, in voller Kenntnis der gegenseitigen Lage den Rest des Abends vortrefflich.“
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Berlin, den 18. Dezember 1874.
„Es gehen hier wieder wichtige Dinge vor. Fürst Bismarck hat seine
Entlassung verlangt. Seit gestern nachmittag wird darüber höchsten Orts
und im Staatsministerium verhandelt. Wäre der Anlaß nur der Beschluß
des Reichstags in Sachen der Verhaftung des Abgeordneten Majunke (ultra-
montan, Redakteur der „Germania“, wegen Majestätsbeleidigung verurteilt), so
ließe sich die Angelegenheit leicht wieder in die Reihe bringen. Aber man
glaubt an andere Gründe, Verstimmung des Fürsten wegen gegnerischem Ein-
flusse und Hemmungen seiner Wirksamkeit, welchen er bis hoch oben begegnet.
Das Vertrauensvotum, welches soeben der Reichstag mit allen gegen die Stimmen
der Ultramontanen abgab, hilft wohl über den großen gezogenen Graben
hinüber.“
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