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möglich. Es hat dem Reichskanzler nachher von 1879 an Mühe genug gekostet,
das damals Versäumte wenigstens teilweise wieder gut zu machen; an der Gold-
währung kranken wir noch heute.
Im Bundesrate waren damals viele tüchtige Arbeitskräfte und liebens-
würdige Leute, wie v. Liebe, Krüger, Neidhardt 2c.; selbständige Charaktere außer
dem sächsischen Gesandten v. Nostitz aber nur wenige. Präsident des Reichstags
war v. Forckenbeck, ein Beweis, daß die große Mojorität des Reichstags im
liberalen Fahrwasser schwamm; die Nationalliberalen glänzten durch Lasker,
Bamberger, v. Bennigsen, Miquel; die Sozialdemokraten fingen eben an,
Sonnenberg an der Spitze; das Zentrum war an Zahl weniger bedeutend als
in den späteren Jahren, hatte aber viel ausgeprägte Persönlichkeiten: Windt-
horst, Mallinkrodt, die beiden Reichensperger, Schorlemer-Alst; die neu ent-
standenen Freikonservativen wurden von Windthorst treffend die Botschafter-
fraktion genannt, vornehme Leute, aber ohne große politische Bedeutung; die
Konservativen waren an Zahl gering und spielten keine Rolle, trotz Moltke,
Maltzahn-Gültz und anderen; in der Fortschrittspartei hatte schon damals Eugen
Richter die größte Bedeutung und wenn er auch schon ebenso unangenehm war
als jetzt, so darf man doch nicht vergessen, daß er damals in der Reichsregierung
und im Reichstag fast der einzigste war, der für Sparsamkeit in den Reichs-
finanzen Sinn hatte und dafür eintrat.
In jene Zeit fiel auch einer jener vielen, jetzt vergessenen Anstürme des
Liberalismus gegen die mecklenburgische Verfassung, und ich habe es mit großem
Dank und Anerkennung zu verzeichnen, daß der Reichskanzler hierfür, trotz Del-
brück, Freydorf und Lasker, nicht zu haben war. 1)
Dem Kanzler bei seinen Unterhaltungen und Erzählungen nach Tische
und bei den parlamentarischen Abenden zuzuhören, war das Interessanteste, was
man hören konnte; spezielle Mitteilungen oder Aussprüche vermag ich aber jetzt
nicht mehr anzuführen, da ich mir leider keine Aufzeichnungen gemacht habe;
daß er einmal den Ausspruch that, auch bei den klügsten Leuten paralysire die
Eitelkeit mindestens ein Dritteil ihres Verstandes, ist mir erinnerlich geblieben,
weil ich diesen Ausspruch des großen Mannes sehr oft bestätigt gefunden habe."“
Bülow wurde später als Nachfolger des in den Ruhestand getretenen
Staatsrats v. Müller Chef des Finanzdepartements und unter Beförderung
zum Staatsrat am 3. April 1875 in sein Amt eingeführt. Sein Nachfolger
in Berlin wurde v. Prollius. Bülow blieb aber gleichwohl Mitglied des Bundes-
rats und hat sich auch von Zeit zu Zeit bei wichtigeren Fragen an den Be-
ratungen desselben beteiligt, ebenso auch an den Konferenzen der Finanzminister
in Heidelberg 1878, in Coburg 1880 und in Frankfurt 1893.
1) Ein Bericht desselben vom 8. Februar 1874, betreffend die Stimmung im Bundesrat
in Betreff des mecklenburgischen Verfassungsprojekts, ist erwähnt bei Hirschfeld: Friedrich
Franz II., Bd. II. S. 324.