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und ich werde daher noch das Vergnügen haben, der Beratung darüber beizu—
wohnen. Das Publikum, welches in Scharen herbeiströmt, wird sich aber wohl
etwas getäuscht finden, denn nach demjenigen, was gestern bei dem Bismarckschen
Diner 1) zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Reichstagspräsidium be-
sprochen wurde, wird es schwerlich viel Skandal geben, vielmehr wird man es
vorziehen, den unverschämten Antrag und seine Urheber totzuschweigen. Fürst
Bismarck selbst vertrat diese Ansicht mit der größten Entschiedenheit und zugleich
übersprudelndem Humor. Ueberhaupt habe ich ihn noch niemals so heiter und
gesprächig gesehen, wie gestern, wo er sich nach dem Diner die lange Pfeife
bringen ließ und seine Gäste aufforderte, sich mit ihren Cigarren um ihn zu
gruppiren.
Es hat infolge der grandiosen Unverschämtheit, mit der Herr Teutsch —
daß der Mann gerade diesen Namen trägt, ist kurios — den Antrag im Reichs-
tag begründete, doch nicht ganz an Skandal gefehlt, geantwortet aber hat ihm
niemand. Für den Antrag stimmten nur die Polen, einige Sozialdemokraten
und zur großen Heiterkeit aller — der alte Ewald 2) mit triumphirendem
Selbstgefühl.“ 5)
*
Gotha, den 20. April 1874.
An Frau Wanda v. Koethe.
„Das Kompromiß in der Militärfrage 4) — Du willst ja wissen, wie ich
darüber denke — entspricht an sich meiner Ansicht nicht. Deutschlands Zu-
kunft, darüber kann sich wohl niemand täuschen, beruht auf seiner Armee,
und die Kraft und Schlagfertigkeit derselben zumeist auf ihrer Organisation;
ich hätte daher gewünscht, daß die letztere den Agitationen und Machinationen
der Parteien dauernd entrückt und die Bestimmung des für eine Minderung
unserer Militärmacht geeigneten Zeitpunkts lediglich dem Urteil derjenigen über-
lassen geblieben wäre, die dazu vermöge ihrer politischen und militärischen
Stellung berufen und befähigt sind.
Die Frage lag jetzt freilich aber so: war es richtiger, das Kompromiß anzu-
nehmen oder es zurückzuweisen, auf die Gefahr hin, dadurch mit der Reichsvertretung
in scharfen Konflikt zu geraten. Um diese Frage entscheiden zu können, müßte
1) Zu vergleichen darüber mein Werk: „Fürst Bismarck und die Parlamentarier",
Bd. I. (2. Aufl.) S. 78.
2) Ewald, Heinrich, Professor der orientalischen Sprachen in Göttingen, geb. 16. Nov.
1803 (Personalien in Hirths „Parlaments-Almanach 1874“, S. 176).
3) Fürst Bismarck wohnte der Reichstagsverhandlung an, ohne das Wort zu ergreifen.
4) Am 9. April hatte der Kaiser sich auf Bismarcks Vortrag bereit erklärt, von der
ursprünglichen Forderung der dauernd gesetzlich fixirten Friedenspräsenzstärke im § 1 der
Militärvorlage zu Gunsten des Septennats Abstand zu nehmen.