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Von welcher relativen Bedeutung diese Industrie für das Großherzog=
tum sei, ergebe sich daraus, daß nach den Ermittelungen der Enquête-
kommission der Wert der Jahresproduktion an Tabakfabrikaten sich be-
ziffere auf
12361 412 .
oder 13,98 „X. auf den Kopf der Bevölkerung. Es sei dies die stärkste
Produktion im ganzen Deutschen Reich, lediglich mit Ausnahme von
Hamburg und Bremen. Selbst Baden produzire nur für 12,96 M. auf
den Kopf der Bevölkerung.
Diese Massen von Fabrikaten würden hergestellt in ungefähr 300 Be-
trieben, von denen ungefähr die Hälfte fremde Gehilfen beschäftigen. In
diesen letzteren seien über 6200 Personen beschäftigt, also mit den Betriebs-
unternehmern über 6500 Personen.
Das Verbot der Privatindustrie würde aber nicht nur auf diese
Personenzahl, sondern auch auf die von ihnen abhängigen Familienglieder
und auf die im Großherzogtum ebenfalls zahlreichen Nebengewerbe für die
Tabakindustrie seine Wirkungen erstrecken, welche letzteren großenteils mit dem
Aupfhören der Privatindustrie vollständig beschäftigungslos werden würden.
Beschränke man aber auch die Betrachtung auf die unmittelbar mit
der Herstellung von Tabakfabrikaten beschäftigten 6500 Personen, so
ergebe sich über deren Zukunft Folgendes:
Es werde für möglich gehalten, in dem Regiebetriebe 80 000 Arbeiter
zu beschäftigen. Von anderer Seite werde die Möglichkeit der Verwendung
so zahlreicher Arbeitskräfte bezweifelt. Legt man aber auch die angegebene
Zahl zu Grunde, so würden davon nach dem Maßstabe der Bevölkerungs-
zahl auf das Großherzogtum etwa 1600 künftig zu beschäftigende Tabak-
arbeiter fallen, also beinahe 5000 Personen beschäftigungslos werden.
Nehme man aber auch an, daß mit Rücksicht auf die seitherige starke
Tabakindustrie des Landes die Zahl von 1600 künftigen Tabakarbeitern
erheblich überschritten werden sollte, so werde es immer nicht zu ver-
meiden sein, daß Tausende seitherige Tabakarbeiter ihren seitherigen Erwerb
aus der Tabakfabrikation verlören. Die einem Teile derselben in Aus-
sicht gestellte Entschädigung werde nicht im stande sein, den Uebergang
zu einer anderen lohnenden Beschäftigung zu ermöglichen, weil überhaupt
das Angebot an Arbeitskräften die Nachfrage übersteige, zumal wenn
das Angebot in demselben Augenblick massenhaft auftrete. Es müsse
daher erwartet werden, daß ein Teil der beschäftigungslos werdenden
Arbeiter, und darunter vorzugsweise die besseren und die, die Entschädigung
erhalten, auswandern, während ein anderer Teil, nachdem die etwa
erhaltene Entschädigung rasch verbraucht sein werde, die Masse des un-
ruhigen Proletariats vermehren werde.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. V. 7