Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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rats haben das Recht, auch während einer Abstimmung zu sprechen. Nach 
Art. 9 der Verfassung ist es ferner unzweifelhaft, daß, wenn sie das Wort 
verlangen, während ein Reichstagsmitglied spricht, letzteres unterbrochen und 
ihnen das Wort erteilt werden muß. 
Wir sind der Ansicht, daß die Mitglieder des Bundesrats von diesem 
ihrem Recht oft mit Nutzen Gebrauch machen könnten, da sich die Arbeit, jene 
langatmigen Deduktionen zu widerlegen, in denen der Reichstag erxzelliert, leichter 
gestalten würde, wenn man dieselbe stückweise in Angriff nähme. Daß trotzdem 
bisher von der Unterbrechung der Redner im Reichstage Abstand genommen, 
geschah sicherlich nicht aus rechtlichen Bedenken — solche sind bei der klaren 
Bestimmung der Verfassung gar nicht denkbar —, sondern deshalb, weil die 
Berechtigten, die Mitglieder des Bundesrats, stets bemüht gewesen sind, dem 
Reichstage mit ausgesuchter Höflichkeit und Rücksicht zu begegnen. 
Dafür hat ein Teil der Reichstagsmitglieder offenbar kein Verständnis. 
Zu dem höflichen Verhalten, welches am Regierungstisch herrscht, steht das 
Verhalten der Opposition in einem traurigen Gegensatz. Vor wenigen Tagen 
wurde im Reichstage darüber gewitzelt, ob ein Minister dem andern „über“ 
sei. Bei der Holzzolldebatte wurde ein angesehener Gelehrter und Bundesrats- 
kommissar, Herr Danckelmann, in seinen sachlichen Ausführungen innerhalb 
weniger Minuten wiederholt mit dem Zuruf: „Au!“ unterbrochen. Wer sich 
in einer geschlossenen Gesellschaft gebildeter, anständiger Männer ein solches 
Benehmen zu schulden kommen ließe, würde zweifellos der Exklusion verfallen. 
Und warum sollten Roheiten, die im Privatleben nicht geduldet werden, im 
Reichstage anstandslos durchgehen? Nach unserer Auffassung, die sicherlich von 
allen Gebildeten geteilt wird, sollte man, wenn man in ftoro spricht, die Ge- 
bote der Höflichkeit und Gesittung noch weit sorgfältiger beobachten als im 
privaten Leben. 
Die Bundesratsmitglieder sind nach der Verfassung nicht verpflichtet, im 
Reichstage zu erscheinen; wenn sie trotz der unhöflichen Behandlung, die sie 
dort wiederholt erfahren haben, den Beratungen beiwohnen, so bringen sie im 
Dienste der guten Sache ein Opfer, das wir mit Dank erkennen. In diesem 
Gefühl des Dankes werden wir nicht ablassen, immer wieder auf das unge- 
hörige Verhalten gewisser Parteien im Reichstage gegenüber den Mitgliedern 
des Bundesrats hinzuweisen und vor allem dagegen Verwahrung einzulegen, 
daß man, wie das in der neulichen Verhandlung der Fall gewesen ist, die 
verfassungsmäßigen Rechte der letzteren zu verkümmern versucht. Jedem Ein- 
griff in die durch den Artikel 9 verliehenen Rechte muß a limine entgegen- 
getreten werden; anders ist die Stellung der Bundesratsmitglieder unabsehbaren 
Schwierigkeiten ausgesetzt. Auch daran ist festzuhalten, daß sie befugt sind, 
während einer Abstimmung, oder während ein Mitglied des Reichstages spricht, 
das Wort zu ergreifen. Wir erinnern uns, daß das preußische Ministerium
	        
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